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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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»Ganz runter, bitte. Zum E-Deck.«
    »Sir, ich glaube kaum, dass dies das richtige Deck für Sie ist.« Der junge Mann, der mit dem Bedienen des Aufzugs betraut war, schüttelte den Kopf. »Dort unten sind …«
    »Ich weiß ganz genau, was da ist.« Kingsleys Stimme war schneidend wie ein Messer. »Gerade darum möchte ich … möchten wir ja dahin.«
    Der Führer zuckte mit den Schultern und drückte auf den entsprechenden Knopf. Die Wünsche der Passagiere waren für ihn Befehl – und mochten diese auch noch so ausgefallen sein.
    Das Gitter des Fahrstuhls ging auf, und Kingsley zog Susan hinter sich in einen schmalen Gang, der viel enger und niedriger als die Gänge auf dem B- oder C-Deck waren. Zwar war hier auch alles neu und sauber, doch in der bedrückenden Enge hing der Geruch von Schweiß und anderen menschlichen Ausdünstungen. Die Türen der meisten Kabinen standen offen, auf den Gängen standen oder saßen Menschen, und in den unterschiedlichsten Sprachen wurden lautstark Gespräche geführt. Die Leute starrten die unerwarteten Besucher teils erstaunt, teils verächtlich an. Eine ältere Frau, deren einfaches Kleid abgetragen und nicht ganz sauber war, rief: »He, was wollt ihr feinen Pinkel denn hier? Pass auf, Schätzchen, dass du dein Kleidchen nicht dreckig machst.«
    Andere stimmten in ihr gackerndes Lachen ein. Susan konnte einen Blick in eine Kabine werfen. Kingsley hatte recht gehabt – diese war gerade mal so groß wie das Badezimmer ihrer Kabine. Es gab kein Fenster, und vier Stockbetten standen links und rechts an den Wänden. Als Abort diente ein Eimer, der notdürftig mit einem Deckel verschlossen war und aus dem es furchtbar stank. Auf den Betten saßen zwei Männer, drei Frauen, und Susan zählte sieben Kinder. Zwölf Personen teilten sich also diesen kleinen Raum, der selbst für acht viel zu eng war.
    Susan ahnte, was Kingsley ihr mit dem Besuch auf dem Zwischendeck sagen wollte, bevor er es aussprach.
    »Hier, liebe Peggy, wärst du jetzt, wenn ich dich nicht unter meine Fittiche genommen hätte.«
    »Das glaube ich nicht, denn wenn ich Sie nicht kennengelernt hätte, wäre ich überhaupt nicht auf diesem Schiff«, konterte Susan. »Es würde für mich keinen Grund geben, nach Amerika zu fahren.«
    Kingsley lachte freudlos. »Damit hast du zwar recht, dennoch wird dir bewusst sein, dass du ohne meine Protektion nichts Besseres bist als all diese Leute hier. Ich finde, dafür hätte ich schon ein wenig Dankbarkeit verdient, meinst du nicht auch?«
    Susan verschlug es die Sprache, denn Kingsleys Blick, der taxierend über ihren Körper schweifte, sagte ihr genau, welche Art von Dankbarkeit er sich vorstellte.
    »Ich möchte gehen.« Susan machte sich aus seinem Griff frei. »Ich denke, wir sollten uns hier nicht länger zum Gespött dieser Menschen machen.«
    »Deine Kollegin Esperanza verhielt sich wesentlich kooperativer.« Susan wich vor seinem schmierigen Lächeln zurück. »
Sie
wusste, dass man im Leben niemals etwas geschenkt bekommt.«
    Susan war nicht überrascht, zu hören, dass Esperanza Kingsley wohl mehr als Freundlichkeit geschenkt hatte. Der Mann widerte sie immer mehr an, und sie wünschte, die nächsten drei Tage würden rasch vergehen, damit sie endlich New York erreichten. Im Augenblick konnte sie jedoch nichts weiter tun, als zu versuchen, sich Kingsley, so gut es ging, vom Hals zu halten.
    »Bitte, Mr. Kingsley, die Leute schauen schon …«
    »Wir sprechen heute Abend weiter«, lenkte Kingsley ein, legte einen Arm um ihre Taille und führte sie den Gang hinunter. In diesem Moment öffnete sich eine Kabinentür, und Rose Cassidy stand vor Susan. Ihr Blick ging zwischen Susan und Kingsley hin und her, blieb auf der vertraulichen Geste, mit der Kingsley Susan hielt, hängen, und ihre Mundwinkel zogen sich verächtlich nach unten.
    »Mrs. Cassidy, wie schön, Sie zu sehen!«, rief Susan erleichtert und in der Hoffnung, Rose Cassidy möge sie nach oben begleiten. »Möchten Sie nicht wieder mit mir Tee trinken?«
    Rose runzelte die Stirn. »Wohl kaum, denn wie ich sehe, sind Sie anderweitig beschäftigt. Ich dachte allerdings, dass Ihr eigenes Deck genügend Plätze für ein Stelldichein bietet und dass Sie dafür nicht extra zu uns nach unten kommen müssen.«
    Sie drehte sich um und ließ Susan stehen.
    Kingsleys Griff um ihre Taille verstärkte sich.
    »Du sagtest ja bereits, dass du Freundschaft mit diesen Subjekten geschlossen hast. Nun, schlussendlich zieht

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