Das Lied der Luege
es jeden immer wieder zu seinesgleichen.«
Um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, verkniff Susan sich eine Antwort. Auch vor dem Fahrstuhlführer beherrschte sie sich, doch kaum waren Kingsley und sie allein auf Deck, wand sie sich aus seinem Griff. Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn wütend an.
»Mr. Kingsley, ich weiß nicht, was Ihr Vorgesetzter, dieser Nathan Schneyder, sagen würde, wenn er wüsste, wie Sie Mitglieder des Ensembles behandeln. Versuchen Sie es eigentlich bei allen Frauen auf diese Art und Weise?«
Erneut griff Kingsley nach ihr. Seine Hände umklammerten Susans Hüften, und da er größer und stärker als sie war, konnte sie nicht verhindern, dass sein Gesicht dem ihren auf Handbreite nahe kam.
»Jetzt komm, zier dich nicht so, Kleine.« Sein heißer Atem, der trotz der frühen Stunde nach Brandy roch, stieg Susan in die Nase. »Ihr Schauspielerinnen treibt es doch mit jedem. Du hast sicher schon öfter für jemanden, der dir bei deiner Karriere behilflich sein könnte, die Beine breit gemacht, oder? Und eine größere Karriere als am Broadway wirst du nirgends auf der Welt machen können.«
Zu Susans Entsetzen pressten sich seine Lippen auf ihren Mund. Obwohl sie sich mit allen Kräften wehrte, konnte sie der Umklammerung seiner Arme nicht entkommen.
»Ich glaube, die Lady hat von Ihren Avancen genug.« Scharf schnitt die Stimme durch die Stille, die zuvor nur vom Dröhnen der Schiffsmotoren erfüllt gewesen war.
Wie von der Tarantel gestochen, fuhr Kingsley herum, und Susan trat schnell ein paar Schritte zur Seite, um aus seiner Reichweite zu gelangen.
»Sie?« Zornig starrte er Daniel Draycott an, der Susan in diesem Moment wie ein rettender Engel erschien. »Verschwinden Sie, das hier geht Sie nichts an.«
Äußerlich blieb Daniel ganz ruhig, er ballte jedoch die Hände zu Fäusten, als er zischte: »Es geht mich sehr wohl etwas an, wenn eine Dame bedrängt wird.«
Kingsleys Lippen verzogen sich spöttisch.
»Dame? Dass ich nicht lache, Peggy Sue ist keine Dame, sondern eine ganz ordinäre Schauspielerin, die sich Abend für Abend den Blicken zahlender Männer präsentiert.« Er schlug sich gegen die Stirn, als wäre ihm plötzlich eine Idee gekommen. »Ich verstehe. Sie sind bei ihr noch nicht zum Zuge gekommen, darum missgönnen Sie mir mein kleines Vergnügen.«
Daniel ging auf Kingsleys letzte Bemerkung nicht ein. Er reichte Susan die Hand, die diese dankbar nahm, und zog sie an seine Seite.
»Kommen Sie, Miss Peggy. Es ist wohl das Beste, diesen Herrn allein zu lassen. Vielleicht kühlt die Luft seinen Verstand, sofern davon noch etwas vorhanden ist.«
»Peggy, wenn du jetzt gehst, dann stehst du in New York ganz allein da. Vergiss nicht, ich bin im Besitz deines Passes, deines Geldes und auch des Vertrages.«
Susan erstarrte. »Der Vertrag ist gültig. Sie und ich haben ihn vor einem Zeugen unterzeichnet.«
Kingsley grinste höhnisch und machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Was heißt das schon? Nathan Schneyder weiß nichts von dir, er hat deinen Namen nie zuvor gehört. Ich werde von Bord gehen und ihm mitteilen, dass Esperanza Montoya leider erkrankt ist und ich so schnell keinen Ersatz finden konnte.«
»Das können Sie nicht tun!«
Bevor sich Susan weiter echauffieren konnte, zog Daniel sie von Kingsley fort.
»Ich glaube, Sie brauchen jetzt einen Anwalt. Am besten erzählen Sie mir alles.«
Susan folgte Daniel ins Schiffsinnere. Er steuerte die kleine Bar an, die um diese Uhrzeit bereits geöffnet hatte. Außer drei Männern, die Zigarre rauchend und Zeitung lesend in den bequemen Ledersesseln saßen, war der Raum leer. Susan protestierte nicht, als er zwei doppelte Whiskys bestellte, obwohl sie am Vormittag eigentlich nie trank. Nachdem sie einen Schluck genommen hatte und der Alkohol warm in ihren Magen rann, ließ das Zittern ihrer Hände langsam nach.
»Ich danke Ihnen, Mr. Draycott.«
»Daniel«, erinnerte er und sah Susan eindringlich an. »Ich habe bereits am ersten Abend bemerkt, dass Kingsley Sie wie ein Bluthund bewacht. Zuerst dachte ich, er wäre Ihr Vater, für einen kurzen Moment befürchtete ich, er wäre eventuell Ihr Liebhaber. Nein, schauen Sie nicht so entsetzt, Peggy«, sagte er rasch, als sie ihn unterbrechen wollte. »Das Schiff ist voll von Männern mit wesentlich jüngeren Frauen. Ein Mister Guggenheim scheut sich nicht davor, sich hier mit seiner jungen Geliebten in der guten Gesellschaft zu
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