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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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ist mein Künstlername, dafür braucht man keinen Nachnamen.«
    Daniel Draycott beugte sich vor und sah Susan tief in die Augen.
    »Ich würde ihn trotzdem gerne erfahren.«
    Sie lachte. Der freundliche Amerikaner begann eindeutig mit ihr zu flirten. Warum nicht? Er war charmant und sah gut aus. Allerdings würde Kingsley einen Flirt nicht gutheißen, und er würde noch seltener von ihrer Seite weichen. Susan war erstaunt, dass Kingsley ihren Auftritt nicht verfolgt hatte und sie jetzt nicht mit Beschlag belegte.
    »Wenn Sie möchten, schicke ich Ihnen eine Freikarte für das Pigeon-Theatre, wenn ich meinen ersten Auftritt habe.« Susan wusste zwar nicht, ob ihr überhaupt erlaubt werden würde, Freikarten zu verteilen, sie glaubte aber auch nicht daran, Draycott nach dieser Reise jemals wiederzusehen. Er schüttelte sofort bedauernd den Kopf.
    »So verlockend das Angebot auch ist, Miss Peggy, aber leider werden meine Geschäfte in Boston mir nicht erlauben, in naher Zukunft nach New York zu reisen. Ich verbrachte die letzten drei Monate in London. In dieser Zeit ist sicher vieles liegengeblieben, was es nun aufzuarbeiten gilt.«
    »Was machen Sie denn beruflich?« Susan fragte mehr aus Höflichkeit denn aus Interesse.
    »Ich bin Anwalt.« Sie zuckte zusammen, hatte sich zwar sofort wieder im Griff, dennoch hatte es Draycott bemerkt. »Sie sind doch nicht auf der Flucht vor dem Gesetz, dass Sie die Nachricht, ich vertrete dasselbe, erschreckt?« Sein Tonfall war scherzend, und Susan versuchte, darauf einzugehen.
    »Oh, sicher doch, Mr. Draycott. Bevor ich dieses Schiff bestieg, habe ich die Bank von England ausgeraubt. Das Geld habe ich in meiner Kabine unter der Matratze versteckt.«
    Er lachte und zwinkerte ihr zu.
    »Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie sofort dem Zahlmeister zu übergeben, der Sie in Gewahrsam nehmen wird, bis wir unser Ziel erreicht haben.«
    Sie stimmte in sein Lachen ein und bestellte sich einen zweiten Manhattan.
    »Im Ernst, Mr. Draycott, in der Vergangenheit habe ich schlechte Erfahrungen mit Anwälten gemacht. Vor einigen Jahren haben mir die Vertreter Ihres Berufsstandes in einer wichtigen Sache nicht helfen können.« Susan wusste nicht, warum sie Draycott gegenüber so offen war. Wahrscheinlich lag es an dem Alkohol und der gelösten Stimmung, in der sie sich befand.
    »Daniel«, sagte er, berührte für einen flüchtigen Moment ihre Hand und sah ihr tief in die Augen. »Bitte, sagen Sie Daniel zu mir. Möchten Sie mir Ihre Geschichte erzählen? Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
    Susan rann ein Schauer durch den Körper. Schnell schüttelte sie den Kopf und nippte an ihrem Glas. Auch wenn sie Daniel Draycott nach dieser Reise niemals wiedersehen würde – auf keinen Fall durfte er von ihrer großen Schuld erfahren, ihren Sohn im Stich gelassen zu haben.
    »Es ist spät«, sagte sie ausweichend. »Ich werde mich jetzt zurückziehen.«
    Hilfsbereit half Daniel ihr in den Mantel und geleitete sie zu ihrer Kabine. Vor der Tür zögerte er. Für einen Moment dachte Susan, er würde versuchen, sie zu küssen, oder sie sogar bitten, mit in ihre Kabine kommen zu dürfen. Dann jedoch verbeugte Daniel sich, deutete einen Handkuss an und meinte: »Danke für den schönen Abend, Miss Peggy. Wir sehen uns morgen früh.«
    Schnell huschte sie in die Kabine und schloss die Tür. Dann lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Tür und lauschte auf ihr pochendes Herz. Sie merkte, wie sehr sie bedauerte, dass Daniel keinen Versuch gemacht hatte, sie zu küssen.
    »So ein Unsinn«, sagte sie laut zu sich. »Was ich jetzt am wenigsten brauchen kann, ist eine Liebelei auf diesem Schiff.«
    Trotzdem konnte Susan nicht verhindern, dass ihr letzter Gedanke, bevor sie einschlief, dem sympathischen Amerikaner galt.
     
    Susan sah Leonard Kingsley erst am nächsten Morgen beim Frühstück wieder. Als sie den Speisesaal betrat, saß er bereits an seinem angestammten Platz. Sein Teint war bleich, und er sah ihr aus rotgeäderten und kleinen Augen entgegen.
    »Guten Morgen, Mr. Kingsley …«
    Er hob die Hand.
    »Bitte, nicht so laut.« Er stöhnte. »Ich habe schreckliche Kopfschmerzen.«
    Susan verbiss sich ein Schmunzeln. Offenbar hatte Kingsley am Abend zuvor dem Alkohol mehr zugesprochen, als gut für ihn war, denn sie konnte seine Fahne deutlich riechen.
    »Mein Auftritt gestern Abend war ein Reinfall, ich werde es nicht wiederholen«, sagte sie leise, ließ sich von einem aufmerksamen

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