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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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zeigen.«
    »Soweit es überhaupt eine gute Gesellschaft ist«, murmelte Susan. Die wenigen Tage an Bord der Titanic hatten ihr gezeigt, dass hinter all dem Pomp, hinter all den eleganten, teuren Kleidern und dem Schmuck, den die Damen allabendlich zur Schau trugen, Klatsch und Tratsch eine große Rolle spielten. All diese Leute hatten das Geld – einige von ihnen auch sicher die Macht –, an Menschen, die vom Schicksal nicht so begünstigt waren, Gutes zu tun. Stattdessen saßen sie in gepolsterten Sesseln, aßen und tranken den lieben langen Tag, und das Wichtigste, was sie beschäftigte, war, ob während ihrer Abwesenheit das Dienstmädchen zu Hause auch regelmäßig die Blumen goss und wer gerade mit wem auf irgendeine Weise verbandelt war.
    »Stimmt es, dass Kingsley Ihre Papiere und den Vertrag unter Verschluss hat?«
    Susan nickte, sie fühlte sich plötzlich so müde.
    »Er meinte, er würde alles dem Zahlmeister geben, der es in einen Safe einschließt. Nur zur Sicherheit, weil sich auf diesem Schiff so viel Gesindel herumtreibt.«
    »Was meinte er damit, als er sagte, niemand wüsste von Ihrer Ankunft in New York?« Daniel griff das Problem auf, dass Susan, die Daniel bereits erzählt hatte, warum sie und nicht, wie ursprünglich geplant, Esperanza nach New York reiste, verschwieg, dass sie erst auf dem Schiff erfahren hatte, dass Kingsley dem Intendanten kein Telegramm über die Änderung geschickt hatte.
    »Somit kann er mich fallenlassen wie eine heiße Kartoffel, wenn wir unser Ziel erreicht haben.« Susans Stimme klang bitter. »Natürlich kann ich diesen Nathan Schneyder aufsuchen und ihm alles erklären. Die Frage ist nur, wem er mehr glauben wird, denn ich bin überzeugt, dass Kingsley alles abstreitet und behaupten wird, mich nie zuvor gesehen zu haben.«
    Nachdenklich legte Daniel die Fingerspitzen aneinander und betrachtete seine Nägel. Leise sagte er: »Wenn ich richtig verstehe, war Ihr bisheriger Intendant, dieser Theodor Murphy, bei der Vertragsunterzeichnung anwesend?«
    »Ja, er hat mich sogar dazu gedrängt, das Angebot anzunehmen.«
    »Nun, dann kabeln Sie ihm sofort und bitten ihn, dass er sich mit Schneyder in Verbindung setzt und die Sache aufklärt.«
    In Susan keimte Hoffnung auf. Sie hatte sich bereits mittellos und ohne Papiere am Kai von New York gesehen, nicht wissend, wo sie die nächste Nacht verbringen sollte.
    »Ist das denn von hier aus möglich?«
    Daniel nickte. »Ich selbst habe gestern Abend ein Telegramm von meinem Bruder bekommen, in dem er mich bat, noch einen wichtigen Kunden in New York aufzusuchen, bevor ich nach Boston weiterreise. Sie müssen wissen, Peggy, dass die Kanzlei von mir und meinem Bruder geführt wird, zuvor gehörte sie unserem Vater, der sich inzwischen ins Privatleben zurückgezogen hat.«
    »Nie zuvor habe ich von einem Anwalt einen so brauchbaren Rat erhalten.«
    Susan lachte. Es war nicht nur der ungewohnte Alkohol am Vormittag, der sie sich leicht und beschwingt fühlen ließ, obwohl sie gerade von Kingsley derart bedrängt worden war.
     
    Wenn Susan später zurückdachte, wusste sie, dass sie sich genau in diesem Moment in Daniel Draycott verliebt hatte. Er hatte ihr vom ersten Augenblick an gefallen und war sehr sympathisch gewesen, doch zu mehr als einem harmlosen Flirt hätte sie sich nicht hinreißen lassen. Wenn sie jetzt jedoch sein längliches Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem markanten Kinn betrachtete und in seine klugen, braunen Augen schaute, fühlte sie eine Sicherheit wie nie zuvor in ihrem Leben. Es war ein anderes Gefühl als bei Ronald McPhearson-Grant, Charles Landsbury oder gar Stephen Polkinghorn. Letzterem hatte sie nicht einmal einen Kuss gewährt, während sie mit den anderen Männern ins Bett gegangen war, ohne in sie verliebt gewesen zu sein. Über Susans Gesicht glitt ein Schatten bei dem Gedanken, wie Daniel wohl reagieren würde, sollte er von ihrer Vergangenheit erfahren. Die ganzen letzten Jahre war es ihr nie wichtig gewesen, was andere von ihr dachten, jetzt jedoch wünschte sie sich, ein weniger ausschweifendes Leben geführt zu haben. Auch wenn die Vereinigten Staaten als aufgeschlossener als
Good Old England
galten – die Moralvorstellungen waren ähnlich. Das hatte Kingsley ihr zur Genüge erklärt. Zudem war Boston eine Hochburg angesehener, alter amerikanischer Familien. Susan zweifelte nicht daran, dass Daniel aus einer solchen guten Familie stammte.
    »Was ist mit Ihnen, Peggy?« Daniel

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