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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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Obhut einer Nachbarin gelassen hatte, wäre eine Krankheit gewesen. Bei dieser Lüge fühlte Susan sich zwar alles andere als wohl, ihr blieb jedoch keine andere Wahl.
    Bevor die Pensionswirtin erwachte, schlich sich Doro leise aus dem Haus. Seit sie das
Blue Horizon
verlassen hatte, wohnte sie nicht mehr mit Joan und Hetty zusammen, sondern hatte zwei Zimmer in der Nähe des
Royal Court
gemietet. Susan wollte Doro nach Hause begleiten, da um diese Uhrzeit noch keine Busse oder U-Bahnen verkehrten, aber Doro lehnte ab.
    »Es ist nicht weit, und die frische Luft tut mir gut.« Auf einen Zettel kritzelte sie ihre Adresse. »Wir bleiben in Kontakt, ja?«
    Susan umarmte die Freundin und drückte sie fest.
    »Natürlich, liebe Doro. Du musst mir aber versprechen, niemandem zu erzählen, dass ich wieder in der Stadt bin. Jedenfalls niemandem von … früher.«
    Früher … wie das klang, fast so, als wäre sie schon uralt. Seit dem Untergang der
Titanic
und den furchtbaren Stunden auf dem eiskalten Atlantik schien es Susan, als wäre sie erneut in ein anderes, in ein neues Leben aufgebrochen. Es war noch keine drei Monate her, seit sie auf den Brettern, die einst ihr Leben bedeuteten, gestanden hatte und von einer großen Karriere am Broadway träumte. Heute jedoch jagte der Gedanke, wieder in dieser halbseidenen Scheinwelt als Schauspielerin zu arbeiten, Susan einen kalten Schauer über den Rücken. Nichts auf der Bühne war echt, vor dem wahren Leben konnte sie jedoch nicht länger davonlaufen.
    Bevor Doro die Tür hinter sich schloss, drehte sie sich noch einmal zu Susan um.
    »Am Samstagabend findet eine Versammlung der WSPU statt. Emmeline Pankhurst wird dort sprechen, außerdem müssen wir beratschlagen, was wir für unsere Mitstreiterinnen, die gestern verhaftet worden sind, tun können. Möchtest du nicht kommen?«
    Susan zögerte und wechselte mit Rosalind einen Blick. Diese nickte und meinte: »Warum nicht? Ich glaube, es kann nicht schaden, sich etwas mehr für die Politik dieses Landes zu interessieren. Es war furchtbar, wie die Polizei auf die wehrlosen Frauen eingeschlagen hat, es erinnert mich daran, wie mit den Iren umgegangen wird. Irgendwann wird jemand dabei getötet werden.«
    Ein schmerzvoller Ausdruck stand in Rosalinds Augen, und Susan spürte, dass sie an den Tag dachte, an dem sie ihren Mann und ihre Söhne verloren hatte.
    »Gut, Doro, wann sollen wir bei dir sein?«
    »Holt mich gegen sechs Uhr am Abend ab. Der Versammlungsraum liegt nur ein paar Schritte von meiner Wohnung entfernt.«

24. Kapitel
    N achdem Doro gegangen war, begaben sich Susan und Rosalind zu Bett, jede hing jedoch noch ihren eigenen Gedanken nach, und beide wälzten sich unruhig hin und her. Obwohl sie in der vergangenen Nacht keine Minute geschlafen hatte, war Susan nicht müde, aber Frühstück würde es erst gegen acht Uhr geben. Außerdem waren die Banken nicht früher geöffnet, und Susan wollte zuerst zur Bank gehen, um eine größere Summe von ihrem Konto abzuheben. Die Pension war für eine Woche bezahlt, sie benötigten aber Geld für das Essen, und ein paar neue Kleider konnten auch nicht schaden.
    »Nachdem ich bei der Bank war, werde ich mit Kay sprechen«, sagte Susan zu Rosalind, während sie sich das reichhaltige Frühstück mit Eiern und Speck schmecken ließen. »Sie wird zwar nicht begeistert sein, zu hören, dass sie so schnell wieder aus meiner Wohnung ausziehen muss, aber ich hatte sie ihr ohnehin nur für drei Monate untervermietet, da ich nicht wusste, ob ich nach meinem Engagement am Broadway in New York bleiben oder nach England zurückkehren würde.«
    »Ich werde mich heute nach Arbeit umsehen«, sagte Rosalind leise und hob die Hand, um Susans Einwand abzuwehren. »Nein, ich werde nicht auf deine Kosten leben, Susan, sondern selbst für meinen Lebensunterhalt aufkommen. Nachdem ich mit Patrick aus England fortgegangen bin, habe ich gelernt, für mein Essen und für ein Dach über dem Kopf zu arbeiten.«
    Susan griff über den Tisch nach Rosalinds Hand.
    »Was hältst du von der Idee eines eigenen Ladens?« Während der Überfahrt nach Liverpool hatte sie Rosalind davon erzählt. »Nicht groß, dafür exklusiv. Wir könnten Pralinen und andere süße Köstlichkeiten anbieten.«
    Rosalind runzelte skeptisch die Stirn.
    »Ein solches Geschäft kostet jede Menge Geld, bevor es etwas einbringt. Die Miete und die Ausstattung der Räumlichkeiten, dann die Waren …«
    »Meine Ersparnisse sollten dafür

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