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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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meine Herren!«
    Einst hatte Lavinia für Emmeline Pankhurst und die Ideen der Suffragetten eine gewisse Sympathie gehegt, allein schon, weil diese von Edward vehement abgelehnt wurden. Die Ereignisse der letzten Monate, die immer größere Gewaltbereitschaft der Frauen, die auch vor Brand- und Mordanschlägen nicht zurückschreckten, hatte Lavinia veranlasst, sich nicht weiter mit der Gruppierung zu beschäftigen, obwohl sie selbst von der Rechtlosigkeit der Frauen stark betroffen war. Ihre Ehe mit Edward war längst am Ende, und Lavinia hätte ihn sofort verlassen, wenn da nicht Anabell wäre. Bei einer Scheidung, ja, sogar bei einer Trennung, würde sie ihre Tochter verlieren und niemals wiedersehen. So war Lavinia an Edward gefesselt, zumindest so lange, bis Anabell erwachsen und mündig war. Dennoch war sie mit ihrem Leben recht zufrieden. Die meiste Zeit blieb sie in Cornwall, während Edward sich in London aufhielt, und Sebastian Eathorne war ein zärtlicher und aufmerksamer Liebhaber. Er drängte sie zwar immer wieder, ihren Mann zu verlassen, Lavinia war sich seiner unerschütterlichen Zuneigung jedoch sicher. Da ihre Schwiegermutter Zenobia seit dem letzten strengen Winter in allen Gliedern an schmerzhaftem Rheumatismus litt und deswegen oft das Bett hüten musste, konnte Lavinia die meiste Zeit frei schalten und walten. Sie und Sebastian waren überaus vorsichtig. Lavinia glaubte nicht, dass irgendjemand von ihrer Beziehung wusste. Beim Gedanken an Sumerhays wurde es Lavinia warm ums Herz. Die ersten Koffer waren bereits gepackt, in drei Tagen würde sie endlich wieder zu Hause sein – bei Anabell und bei Sebastian. Wenn sie an ihren Geliebten dachte, begann ihre Haut zu prickeln, und ihr Herz schlug ein paar Takte schneller.
    Ein Hausmädchen trat aus dem Souterrain, knickste, als es seine Herrin erkannte, und eilte dann nach draußen, um Lavinias Einkäufe aus der Droschke zu holen. Dabei ließ es die Haustür ebenso wie die Tür zum Vestibül offen stehen. Lavinia setzte gerade einen Schritt auf die unterste Treppenstufe, um in ihr Schlafzimmer zu gehen und sich umzukleiden, als sie laute Stimmen vor der Tür hörte.
    »Das ist jetzt unmöglich. Mylady ist gerade erst heimgekehrt. Hinterlassen Sie Ihre Karte, Mylady wird sich bei Ihnen melden.«
    Lavinia war für die Strenge des Dieners dankbar, denn sie hatte jetzt weder die Zeit noch die Lust, Besuch zu empfangen. In zwei Stunden musste sie zum Empfang des Grafen aufbrechen, und zuvor wollte sie noch ein Bad nehmen.
    »Es ist aber wichtig!« Die Frauenstimme klang beschwörend. »Ich
muss
Lady Lavinia unverzüglich sprechen. Jetzt! Sofort!«
    Die letzten Worte hatte die Frau so laut gerufen, dass es beinahe in der ganzen Straße zu hören war. Lavinias Pulsschlag beschleunigte sich, sie meinte, die Stimme zu kennen. Das konnte doch nicht … das
durfte
nicht sein!
    Langsam näherte sie sich dem Vestibül und hörte, wie ihr Diener entschlossen sagte: »Mylady empfängt heute nicht. Und jetzt scheren Sie sich fort, oder muss ich Sie erst vom Grundstück werfen lassen?«
    Lavinia atmete tief durch, straffte die Schultern und trat vor die Haustür. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht – es war diese vermaledeite Susan Hexton, die auf der untersten Stufe stand. Als Susan Lavinia sah, rief sie erleichtert: »Lady Lavinia! Endlich! Ich muss Sie unbedingt sprechen. Bitte, es ist wirklich wichtig.«
    »Mylady, verzeihen Sie«, bemerkte der Diener und sah sie entschuldigend an. »Die Frau lässt sich nicht abweisen.«
    Für einen Moment schloss Lavinia die Augen, dann sagte sie ruhig: »Es ist gut. Kommen Sie herein, bevor Sie die halbe Straße zusammenschreien.«
    Der Diener warf ihr einen erstaunten Blick zu. Susan ging triumphierend an ihm vorbei und folgte Lavinia in das kleine Speisezimmer im Erdgeschoss, das die Familie benutzte, wenn sie unter sich war. Lavinia schloss die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
    »Was wollen Sie in meinem Haus?« Sie war entschlossen, Susan erst gar nicht zu Wort kommen zu lassen. »Ich dachte, ich hätte mich im letzten Sommer klar und deutlich ausgedrückt. Wie können Sie es wagen, mich hier zu belästigen?«
    »Mylady, bitte …« Susan versuchte, ihren Redefluss zu stoppen, aber Lavinia unterbrach sie mit einer Handbewegung.
    »Zu Ihrer Information: Anabell ist nicht in der Stadt. Wenn Sie also gekommen sind,
meine
Tochter zu sehen, dann haben Sie sich umsonst bemüht. Auch sonst wüsste ich nicht,

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