Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
Vom Netzwerk:
angenommen hatte, und natürlich auch an Molly Brown. Was die Frauen wohl heute machten? Engagierten sie sich nach wie vor für die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft?
    Mit einem langen Brief dankte Susan Alice Paul für ihr Schreiben. Als sie den Brief zuklebte und zum Versand fertigmachte, dachte sie kurz daran, auch an Daniel Draycott zu schreiben. Nein, sagte sie sich und schüttelte wie zur Bestätigung den Kopf. Dreimal hatte sie ihm geschrieben, jedes Mal, wenn sie ihm das geliehene Geld zurücküberwiesen hatte, doch er hatte ihr nicht geantwortet. Wehmütig erinnerte Susan sich an ihre kurze gemeinsame Zeit und an die lieben Worte und zärtlichen Küsse Daniels. Jetzt, bald ein Jahr später, musste sie einsehen, dass sie seine damalige Freundlichkeit wohl überbewertet hatte. Susan wusste nicht, warum sie beim Gedanken an Daniel immer ein leichtes Ziehen in ihrer Brust empfand. Ja, damals war sie auf dem besten Weg gewesen, sich ernsthaft in ihn zu verlieben. Wie gut, dass sie solch tiefe Gefühle nicht zugelassen hatte. In ihrem Leben hatte es einige Männer gegeben, doch heute füllte ihre Arbeit bei der
WSPU
sie vollständig aus.
     
    Am 3. April 1913 wurde Emmeline Pankhurst als Drahtzieherin eines Bombenanschlags auf das Landhaus des britischen Schatzkanzlers David Lloyd George zu drei Jahren Haft verurteilt. Susan und Doro waren in die Vorbereitungen des Anschlags involviert gewesen, wurden jedoch nicht gefasst, da Emmeline die Namen ihrer Helferinnen nicht nannte. Das Urteil löste erneut eine Welle von Straßenschlachten aus, unter anderem wurde Premierminister Asquith mit Pfeffer und einer toten Katze beworfen. Die Proteste weiteten sich über das ganze Land aus, in fast allen großen Städten explodierten Bomben und gingen Gebäude in Flammen auf. Es grenzte an ein Wunder, dass dabei niemand ernsthaft zu Schaden kam. Die Presse, nach dem Aufmarsch der Suffragetten im vergangenen Herbst eher auf Seiten der Frauenrechtlerinnen, sprach nun von einer
Herrschaft des Terrors
und distanzierte sich von der
WSPU
. Auch Susan ging mit diesen Gewalttaten nicht konform. Nicht, weil sie sich vor einer erneuten Verhaftung fürchtete, sondern weil sie der Meinung war, durch brennende Häuser und Säureanschläge auf Briefkästen niemals das Frauenwahlrecht erreichen zu können. Doro Hawkins hingegen war immer an vorderster Front dabei und lief in ständiger Gefahr, ebenfalls in Haft genommen zu werden.
    Emmeline Pankhurst wurde am 13. April bereits wieder entlassen, nachdem sie erneut in den Hungerstreik getreten war. Dennoch gingen die Straßenschlachten in unveränderter Härte weiter. Am 4. Juni 1913 gipfelten die Aufstände im Tod der Suffragette Emily Davison. Die Frau, eine der Militantesten der Gruppe, besuchte das English Derby in Epson, lief während des Rennens auf die Galopprennbahn und warf sich vor das Pferd des Königs, um dessen Aufmerksamkeit zu erregen, und wurde unter den Pferdehufen begraben. Während der Jockey nur leicht verletzt wurde, zog sich Emily Davison schwerste innere Verletzungen zu, an denen sie wenige Tage später starb. Nun hatten die Suffragetten ihre erste Märtyrerin, und Davisons Begräbnis glich mehr einem Aufmarsch als einer feierlichen Prozession.
    Im selben Jahr wurde das sogenannte
Cat-and-Mouse-Act
-Gesetz vom Parlament verabschiedet, das besagte, dass Gefangene aus der Haft zu entlassen sind, wenn sie durch Hungerstreik und die damit verbundene Zwangsernährung ernsthaft krank werden oder gar gesundheitliche Schäden davontragen. Allerdings durften diese Personen nach ihrer Genesung wieder inhaftiert werden.
    Für die
WSPU
war dies ein Teilerfolg – ein kleiner zwar nur, aber dennoch der erste Schritt zu einer gerechteren Behandlung.
    »Das Parlament kann sich keine weiteren toten Suffragetten leisten«, sagte Doro mit einem zufriedenen Lächeln. »Sie haben endlich gemerkt, dass wir zu allem, zu wirklich allem, entschlossen sind. Du wirst sehen, noch vor Ablauf dieses Jahres werden wir das Wahlrecht erhalten.«
    Davon war Susan alles andere als überzeugt, mit Doro darüber zu diskutieren war jedoch sinnlos. Die Freundin hatte sich um hundertachtzig Grad gewandelt, und manchmal dachte Susan, eine Fremde würde vor ihr stehen. Dass dies vorrangig damit zusammenhing, dass Theodor Murphy ihre Liebe verschmäht und eine andere Frau geheiratet hatte, zeigte sich, als sie an einem Sommertag plötzlich Esperanza Montoya – die immer noch unter diesem Namen

Weitere Kostenlose Bücher