Das Lied der Luege
in anderen Umständen war, war ich fast von Anfang an rund wie eine Tonne.«
Und bist es heute noch, dachte Lavinia in einem Anfall von Gehässigkeit, bereute ihren Gedanken jedoch gleich wieder und bemühte sich um ein unverbindliches Lächeln.
»Mir geht es gut, Mutter. Es tut mir leid, zu hören, dass es um Archibalds Gesundheit nicht gut bestellt ist. Umso besser wäre es doch für ihn, wenn du Weihnachten an seiner Seite bist, oder?«
Lavinia dachte, bis Weihnachten würde sie gegenüber Zenobia die Scharade aufrechterhalten können, doch dann würde es unweigerlich kritisch werden. Zenobia runzelte die Stirn.
»So langsam gewinne ich den Eindruck, du willst mich gar nicht hier haben, mein liebes Kind.« Zenobias Stimme war ein einziger Vorwurf. »Am liebsten wäre es dir, wenn ich gleich heute wieder abreise, nicht wahr?«
»Aber Mutter, wie kannst du so etwas denken?«, beeilte Lavinia sich zu versichern. »Es ist ebenso dein Haus wie meines, und du weißt, dass du jederzeit willkommen bist. Ich bin über deinen Besuch nur überrascht und habe ein schlechtes Gewissen, wenn du wegen mir deinen Mann so lange vernachlässigst.«
Wie dreist ich lügen kann
, dachte Lavinia und hoffte, nicht zu erröten. Zenobia hingegen schien besänftigt. Mit einem wohlwollenden Lächeln legte sie eine Hand auf Lavinias Arm und sagte: »Da die Dienerschaft hier mehr als unzureichend ist, werde ich jetzt mal mein Zimmer aufsuchen. Ich hoffe nur, dass dieser alte Windle irgendwann auftaucht, um mein Gepäck hinaufzuschaffen. Zudem sehne ich mich nach einer starken Tasse Tee. Du könntest nicht vielleicht …?«
Lavinia verstand und versprach, sofort nach Mrs. Windle zu suchen, damit diese Tee und einen kleinen Imbiss zubereitete. Sie war froh, Zenobia für den Moment entfliehen zu können. Als sie in den Garten ging, überlegte sie fieberhaft, was sie tun konnte, um ihre Schwiegermutter zur baldigen Abreise zu bewegen.
Eine Stunde später hatte Mrs. Windle, die sich im Kräutergarten aufgehalten hatte, Tee bereitet und servierte diesen mit Gurkensandwiches im Salon. Während Zenobia herzhaft zugriff, schien Lavinias Kehle wie zugeschnürt zu sein. Sie brachte keinen Bissen hinunter und nippte nur hin und wieder an ihrer Tasse. Unweigerlich kam Zenobia erneut auf ihre Schwangerschaft zu sprechen. Sie war entsetzt, zu hören, dass Lavinia bisher keinen Arzt in Cornwall konsultiert hatte.
»Du musst zu Doktor van Roosen!« Beschwörend fixierten Zenobias graue Augen Lavinia. »Er ist ein sehr guter Arzt, schon sein Vater hat geholfen, Edward auf die Welt zu bringen.«
»Mir geht es gut, und ich habe Caja Nankerris in erreichbarer Nähe«, antwortete Lavinia. »Sie ist eine hervorragende Hebamme und hat bereits über hundert Kindern geholfen, das Licht der Welt zu erblicken.«
»Die Frau eines Pächters!« Verächtlich winkte Zenobia ab. »Als Hebamme mag sie nicht schlecht sein, regelmäßige Konsultationen eines Arztes sind jedoch unabdingbar. Du musst bedenken, Lavinia, du bist nicht mehr die Jüngste. Wie leicht kann es da zu Komplikationen kommen.«
»Mutter, ich bin erst achtundzwanzig, und ich bin völlig gesund. Ich denke nicht, dass es Grund zur Sorge gibt, wenn ich mich an die Anweisungen des Londoner Arztes halte und mir viel Ruhe gönne.«
Zenobia runzelte die Stirn. »Dennoch bestehe ich auf einer Konsultation bei Doktor van Roosen.«
Lavinia seufzte verhalten. Zugegeben – aus Zenobias Sicht hatte die Schwiegermutter sicher recht. Mit achtundzwanzig Jahren zählte sie in ihren Kreisen tatsächlich schon zu den Spätgebärenden, und oft genug hörte man von schweren Geburten, bei denen Kind und Mutter in Lebensgefahr gerieten. Das alles mochte vielleicht stimmen – wenn sie schwanger wäre.
»Also, wann suchst du Doktor van Roosen auf?« Zenobia ließ nicht locker. »Ich werde dich selbstverständlich begleiten.«
»Im nächsten Jahr, Mutter.« Lavinia wusste, im Moment musste sie nachgeben. Sie hoffte, dass Zenobia im Januar vielleicht doch den Wunsch verspürte, wieder nach Hause zu fahren.
»Nun gut, doch wenn du vorher Beschwerden irgendwelcher Art verspürst, dann lasse ich sofort den Arzt rufen.« Zenobia griff nach dem letzten Sandwich und kaute genüsslich. »Du brauchst keine Angst zu haben, Lavinia, Kinderkriegen ist gar nicht so schwer. Ich muss es ja schließlich wissen, denn ich habe drei Kindern das Leben geschenkt.« Sie stockte und fuhr dann leise fort: »Von denen mir nur Edward
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