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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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sind nur Pächter.«
    »Oh, dann kennen Sie Lady Lavinia?«, fragte Susan mit einem unverbindlichen Lächeln. »Vielleicht auch ihre Tochter. Anabell ist ihr Name, nicht wahr?«
    Die Pächtersfrau lächelte und nickte.
    »Natürlich, ist ein entzückendes kleines Mädchen. Wenn man bedenkt, wie lang Ihre Ladyschaft auf Mutterglück warten musste, ist es kein Wunder, dass die Kleine nach Strich und Faden verwöhnt wird.«
    Susans Herzschlag beschleunigte sich.
    »Dann geht es Anabell also gut?«
    »Mehr als gut, alle behandeln sie wie eine kleine Prinzessin.«
    »Und sie ist gesund?«
    »Soviel ich weiß, ja.« Plötzlich wurde die Alte misstrauisch. »Wenn Sie ’ne Bekannte der Familie sind … warum fragen Sie mich das alles? Müssten Sie doch selber wissen.«
    »Letztes Jahr hielt ich mich in Schottland auf.« Blitzschnell und überzeugend kam Susans Antwort, ihre Erfahrung als Schauspielerin machte sich bezahlt. »Deshalb habe ich Lady Lavinias Kind noch nie gesehen, meine Freundin schrieb mir nur in langen Briefen von ihr. Da ich nun zufällig in der Gegend bin, wollte ich die Gelegenheit nutzen, meine Glückwünsche persönlich vorzutragen.«
    »Ach so, nun ja, das geht mich auch nichts an«, murmelte die Alte. »Wenn Sie die Familie besuchen wollen, müssen Sie schon nach London fahren.«
    Die Alte setzte ihren Weg fort, und Susan ging langsam zur Kutsche zurück. Während der Fahrt nach Torpoint fragte sie sich, was sie eigentlich getan hätte, wenn Lady Lavinia und Anabell in Sumerhays gewesen wären. Nichts – sie wäre ebenso unverrichteter Dinge nach Plymouth zurückgekehrt. Die Begegnung mit der Pächterin war jedoch ein glücklicher Zufall gewesen. Susan wusste nun immerhin, dass ihre kleine Tochter gesund war und dass es ihr gutging. Genau das hatte sie für Anabell gewollt, warum schmerzte der Gedanke an sie dennoch wie ein Geschwür in ihrer Brust?
     
    Wenige Tage vor Weihnachten – es schneite zum ersten Mal in diesem Winter, und das Ensemble hatte mit den Proben für das Singstück, das im Frühjahr im
Blue Horizon
aufgeführt werden sollte, begonnen – bat Theo Susan in sein Büro.
    »Heute Vormittag erhielt ich den ersten Entwurf des Plakates für das neue Stück«, sagte er und bat Susan, sich neben Doro, die bereits im Büro war, zu setzen. »Ich möchte wissen, was ihr davon haltet.«
    Das Stück hieß
Die Elenden
und stammte aus der Feder des französischen Schriftstellers Victor Hugo, der – wie Susan wusste – zu Lebzeiten ein enger Freund von Sarah Bernhardt gewesen war. Theodor Murphy hatte sich für dieses eher ernste Stück entschieden, es jedoch mit Gesangseinlagen etwas leichter und lockerer gemacht. Susan sollte die junge, verarmte Fantine darstellen, die zwar etwa in der Mitte der Handlung stirbt, im ersten Teil aber eine große und tragende Rolle hat.
    Auf Theos Schreibtisch lag ein großes Plakat ausgebreitet, das Theo den beiden Frauen hinschob. Doro und Susan beugten sich vor und studierten gemeinsam den Text. In großen, fettgedruckten Buchstaben wurde das neue Stück angekündigt und die Darsteller aufgeführt. Links standen die Rollennamen, rechts daneben die Namen der Schauspieler. Hinter dem Namen
Fantine
war jedoch nichts eingetragen, und Susan schluckte. Hatte Theo es sich anders überlegt und besetzte die Rolle nicht mit ihr, obwohl sie seit Wochen unermüdlich probte? Joan hatte ebenfalls eine schöne Singstimme, auch Hetty konnte sich hören lassen. Die beiden Kolleginnen waren bisher für andere, nicht so tragende Rollen vorgesehen gewesen.
    »Es ist gut gelungen«, sagte Susan leise und wagte nicht, Theo anzusehen.
    »Es ist der erste Entwurf.« Theo grinste, kam um den Schreibtisch herum und stieß Susan mit einem Finger in die Rippen. »Es wird dir sicher nicht entgangen sein, dass noch etwas fehlt.«
    Susan nickte, und Doro brachte die Sache auf den Punkt.
    »Susans Name fehlt, Theo. Hinter der Fantine ist ein leerer Fleck.«
    Theo setzte sich halb auf den Schreibtisch und sagte: »Bitte, hör mir einen Moment zu, Susan.«
    Susan wurde es flau im Magen, denn plötzlich wirkte Theo ungewöhnlich ernst. Gleich würde er ihr sagen, dass sie in den bisherigen Proben nicht überzeugte, obwohl sie Tag und Nacht geübt und sich alle Mühe gegeben hatte. Da ihr Name auch nicht in einer kleineren Nebenrolle erwähnt wurde, beendete Theo vielleicht gar ihren Vertrag mit dem Theater? Hatte sie sich und ihre Leistung derart überschätzt?
    »Theo, ich versuche,

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