Das Lied der Maori
selbstbewusst zu geben, wenn Thomas diese undurchdringliche Miene aufsetzte. Und Elaine schien nicht die Einzige zu sein, der die Situation bedrohlich erschien. Die Männer der Sideblossoms, fast nur Maori-Jungen, zogen sich erkennbar zurück.
»Nein, das durftest du nicht!«, zischte Thomas. »Der Hengst ist kaum zugeritten, dir hätte sonst was passieren können. Ganz abgesehen davon, dass es kein Pferd für eine Dame ist. Außerdem schickt es sich nicht, allein durch die Gegend zu reiten ...«
»Aber Thomas«, wandte Elaine ein. Sein Argument war so widersinnig, dass sie trotz der angespannten Situation beinahe gelacht hätte. »Hier sieht mich doch kein Mensch! Seit ich von Lionel Station weggeritten bin, habe ich niemanden getroffen, der mein Verhalten unschicklich finden könnte!«
»Aber
ich
finde es unschicklich«, sagte Thomas kalt. »Und nur das zählt. Ich habe nichts gegen einen gelegentlichen Ausritt – gemeinsam mit mir, auf einem ruhigen Pferd. Aber allein verlässt du die Farm nicht mehr. Haben wir uns verstanden?«
»Aber ich bin immer allein ausgeritten, Thomas. Schon als Kind. Du kannst mich nicht einsperren!«
»Kann ich nicht?«, erwiderte er kalt. »Ich sehe schon, wir spielen die üblichen Spielchen. Wer weiß, wen oder was du hier gesucht hast. Jetzt komm mit, wir reden später noch einmal darüber.«
Die Männer nahmen Elaine in die Mitte, als wäre sie ein entflohener Sträfling, der abgeführt und in Sicherheit gebracht werden musste. Plötzlich empfand sie die Landschaft gar nicht mehr als berauschend schön und von erhabener Weite. Stattdessen schienen die Berge sich wie ein Gefängnis um sie zu schließen. Und Thomas richtete kein einziges Mal das Wort an sie. Der dreistündige Rückweg verlief in düsterem Schweigen.
Arama und Pita, die sie im Stall erwartet hatten, nahmen ihr Khan ab. Besonders in Aramas Gesicht stand tiefe Sorge.
»Sie hätten nicht so lange ausbleiben dürfen, Miss Lainie«, sagte er leise. »Ich hatte so etwas befürchtet, doch ich dachte, die Männer kämen erst morgen zurück. Aber haben Sie keine Angst, wir werden nichts davon erzählen, dass Sie uns mit den Schafen geholfen haben.«
Elaine hätte den Hengst gern selbst abgerieben, wie sie es am Tag zuvor getan hatte, aber Thomas drängte sie gleich ins Haus.
»Zieh dich um, damit du wenigstens wie ein Lady zu Tisch kommst!«
Elaine zitterte, als sie in ihr Ankleidezimmer floh. Pai hielt zum Glück schon ein Kleid für sie bereit und half ihr rasch, sich fester zu schnüren.
»Mr. Thomas ist ... erzürnt?«, fragte sie vorsichtig.
Elaine nickte. »Ich halte das nicht aus«, flüsterte sie. »Er will mich einsperren, ich kann nicht ...«
»Pssst ...« Pai, die eben ihr Haar aufsteckte, fuhr tröstend mit der Hand über ihre Wange. »Nicht weinen. Davon wird es nicht besser. Weiß ich aus dem Waisenhaus. Manchmal weinten die Kinder, aber das half nichts. Man gewöhnt sich, Miss Lainie ... man gewöhnt sich an alles.«
Elaine hatte das Gefühl, schreien zu müssen, wenn sie diesen Satz noch einmal hörte. Sie würde sich niemals an dieses Leben gewöhnen. Eher würde sie sterben!
Zoé erwartete die Gesellschaft mit scheinheiligem Lächeln.
»Und du bist auch zurück, Elaine! Wie schön! Vielleicht leistest du mir in den nächsten Tagen ja wieder ein bisschen mehr Gesellschaft. Immer bei den Viehtreibern und den Hunden, das kann doch keinen Spaß machen ...«
Elaine biss die Zähne zusammen. Thomas streifte sie mit einem eisigen Blick.
»Früher bin ich ja auch ein bisschen geritten«, fuhr Zoé munter fort, während das Essen aufgetragen wurde. Sie bestritt heute praktisch die gesamte Unterhaltung allein. Thomas schwieg nach wie vor, und John schien es interessant zu finden, die jungen Eheleute zu beobachten. »Denk dir, Lainie, ich hatte sogar ein Pferd, als ich kam. Aber dann hatte ich keine Lust mehr. Die Herren haben ja auch kaum Zeit, eine Lady beim Ausritt zu begleiten. John hat das Pferd dann verkauft ...«
Was war das? Eine Warnung? Oder freute Zoé sich schon darauf, dass Thomas sicher auch Elaines geliebte Banshee weggeben würde, sobald das Tier auf Lionel Station eintraf? Elaine begriff jetzt auch, warum die Stute nicht mitlaufen sollte. Es ging nicht darum, dem Fohlen den weiten Weg zu ersparen, sondern nur darum, Elaine ans Haus zu fesseln.
Emere, die Maori-Frau, bediente schweigend wie immer. Aber auch sie hatte ein Auge auf Elaine. Und in der Nacht spielte sie
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