Das Lied der Maori
übernimmt?«
James schüttelte den Kopf. »Er ist nun mal kein Warden. Hätte Gwyneira die Farm geerbt, wäre es etwas anderes. Sicher, dann ständen Stephen, Georgie und Elaine auch noch vor Jack in der Erbfolge, aber mit den O’Keefes hätten wir uns einigen können. Steve und George haben schließlich kein Interesse, und Elaine hat ja jetzt ihre eigene Schaffarm.«
»Aber Kura hat doch auch kein Interesse!«, wandte Andy ein. »Schade, dass man sie nicht mit Jack verheiraten konnte. Gut, es wäre ein bisschen Inzucht, aber gutes Blut ...«
James lachte schallend. »Das wären Jack alle Schafe der Welt nicht wert, Andy! Ich glaube, selbst wenn Kura das letzte Mädchen auf dieser Erde wäre, ginge er ins Kloster!«
Schließlich nahte Kuras Niederkunft, und ihre Laune wurde zusehends noch schlechter. William dagegen gab sich alle Mühe, verbrachte mehr Zeit im Haus und versuchte, sie gnädiger zu stimmen – mit wenig Erfolg. Seit er sich ihr nachts nicht mehr näherte, um das Kind nicht zu gefährden, behandelte sie ihn mal mit eisiger Verachtung, mal geriet sie in Zorn und warf Gegenstände nach ihm. Inzwischen gab es niemanden mehr, der Kura auch nur kurze Zeit aufmuntern konnte. Sie wollte nicht schwanger sein. Sie wollte kein Kind. Und der letzte Ort, an dem sie sein wollte, war Kiward Station.
Marama, ihre Mutter, sorgte sich, dass dies alles dem Kind schaden könne, und auch Gwyneira fühlte sich manchmal an ihre eigene Schwangerschaft mit Paul erinnert. Auch sie hatte das Kind abgelehnt. Aber Paul war die Frucht einer Vergewaltigung gewesen, während Kura ein Kind der Liebe erwartete. Gwyneira war fast erleichtert, als endlich die Wehen einsetzten. Marama und Rongo Rongo, die Hebamme der Maoris, waren gleich da, um Kura beizustehen, und Gwyneira schickte zusätzlich nach Francine Candler, damit diese sich ja nicht beleidigt fühlte. Das Kind war allerdings schon da, als die Hebamme aus Heldon eintraf. Kura hatte leicht entbunden; sie lag gerade mal sechs Stunden in den Wehen und brachte dann ein sehr kleines, aber gesundes Mädchen zur Welt.
Marama strahlte übers ganze Gesicht, als sie es Gwyneira präsentierte.
»Sie sind doch nicht böse, Miss Gwyn?«, fragte sie besorgt.
Gwyneira lächelte. Bei Kuras Geburt hatte Marama die gleiche Frage gestellt.
»Aber nicht doch, wir halten die weibliche Linie aufrecht!«, sagte sie und nahm Marama die Kleine aus den Armen. Forschend blickte sie in das winzige Gesichtchen. Wessen Züge das Mädchen geerbt hatte, war noch nicht abzusehen, doch der Flaum auf ihrem Köpfchen schien eher golden als schwarz.
»Wie will Kura sie nennen?«, fragte Gwyneira und wiegte das Baby. Das Kind erinnerte sie an die neugeborene Fleurette, und eine Woge der Zärtlichkeit überkam sie, als es erwachte und sie aus großen blauen Augen ansah.
Marama zuckte unglücklich die Achseln. »Weiß ich nicht. Sie sagt gar nichts, wollte das Kind auch gar nicht richtig ansehen. ›Bring sie zu Grandma‹, sagte sie nur. ›Tut mir leid, dass es kein Junge ist.‹ Und dann sagte William: ›Beim nächsten Mal, Liebste!‹, woraufhin Kura beinahe tobsüchtig wurde. Rongo Rongo hat ihr jetzt einen Schlaftrunk verabreicht. Ich weiß nicht, ob das richtig war, aber so, wie sie gewütet hat ...«
Auch William war unzufrieden. Er hatte fest mit einem Sohn gerechnet und wirkte nun enttäuscht. Tonga schickte dagegen ein Geschenk zur Geburt, denn die Maoris erkannten die weibliche Erbfolge an.
Gwyneira war es egal, ob Junge oder Mädchen. »Hauptsache, sie ist nicht musikalisch«, sagte sie zu James und bettete das Kind in eine Wiege. Da vorher offenbar niemand daran gedacht hatte, wandelte sie Kuras kleinen Salon kurzerhand in ein Kinderzimmer um. Auch die Wiege hatte James vom Speicher holen müssen. Nicht einmal über einen Namen schien jemand sich Gedanken zu machen.
»Tauf es nach Kuras Lieblingssängerinnen«, riet James. »Wie hießen die bloß noch alle?«
Gwyneira verdrehte die Augen. »Mathilde, Jenni und Adelina. Das können wir dem Kind nicht antun! Ich frage den Vater. Vielleicht können wir sie nach seiner Mutter nennen.«
»Dann heißt es wahrscheinlich Mary oder Bridey ...«, überlegte James.
Tatsächlich aber stellte sich heraus, dass William sich bereits Gedanken über einen Namen für seine Tochter gemacht hatte.
»Es soll ein besonderer Name sein!«, erklärte er, schon leicht von Whisky benebelt. Gwyneira hatte ihn unten im Salon angetroffen. »Etwas, das unseren
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