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Das Lied der Maori

Das Lied der Maori

Titel: Das Lied der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Männer einfach um die Ecke, um ihre Notdurft zu verrichten. Um die Ecke stand aber meist schon die nächste Hütte, und der Regen, der in Greymouth fast täglich fiel, spülte die Ausscheidungen und den Abfall ohnehin gleich wieder in die schlammigen Gassen zwischen den Verschlägen. Mitunter glichen diese »Straßen« stinkenden Bächen. Timothy hatte Mühe, trockenen Fußes hindurchzukommen.
    Zurzeit schien die Siedlung verlassen. Nur aus wenigen Hütten hörte er Schniefen und Husten – wahrscheinlich die »Ausfälle wegen Krankheit und Faulheit«, über die sein Vater beim Abendessen geklagt hatte. Unter Minenarbeitern häuften sich die Fälle von Staublungen und Schwindsucht, doch rund um die Lambert-Mine schien es besonders schlimm zu sein, zumal sich offenbar niemand um die Kranken kümmerte. Offensichtlich lebten hier nur wenige Familien, deren Frauen auf ein Mindestmaß an Ordnung und Sauberkeit in ihren Hütten achteten. Die meisten Bergleute waren alleinstehend und flohen lieber in einen Pub, als abends noch ihre Quartiere in einen erträglicheren Zustand zu versetzen. Verdenken konnte Timothy es ihnen nicht. Wer zehn Stunden in einem dunklen Schacht Kohle gehauen hatte, war abends reif fürs Bett oder bestenfalls für ein paar Bier in freundlicher Atmosphäre. Und vielleicht fehlte den Männern das Geld für Instandsetzungsarbeiten.
    Timothy musste seinen Vater unbedingt darauf ansprechen. Die Mine konnte zumindest das Baumaterial zur Verfügung stellen! Das Beste wäre überhaupt, alles abzureißen und nach vernünftigen Plänen neu zu bauen. Die neu gegründeten Gewerkschaften in Übersee forderten solche menschenfreundlicheren Arbeitersiedlungen, allerdings noch mit wenig Erfolg.
    Timothy hatte inzwischen das unmittelbare Minengelände erreicht und das Haupttor passiert. Hier wurden die Straßen gleich besser; schließlich durften die Frachtwagen, mit denen die Kohle befördert wurde, nicht im Schlamm stecken bleiben. Tim fragte sich, warum es noch keine Schienenverbindung zur Bahnlinie gab. Der Kohletransport könnte schneller und billiger erfolgen. Auch ein Thema, das er bei seinem Vater zur Sprache bringen musste.
    Timothy klopfte seine Stiefel ab und betrat das ebenerdige, flache Bürogebäude. Es lag dem Mineneingang gegenüber. Das Kontor seines Vaters bot eine gute Aussicht auf den Förderturm und den Gebäudekomplex, der Raum für Dampfmaschine und Speicher bot. Auch die Männer, die ein- und ausfuhren, sowie die Arbeiter über Tage konnten von hier aus überwacht werden. Marvin Lambert hatte gern alles im Blick. Rund um Greymouth gab es eine Reihe von Minen, die einzelnen Familien oder Aktiengesellschaften gehörten. Die Lambert-Mine war das zweitgrößte private Unternehmen dieser Art, und Marvin Lambert konkurrierte aufs Schärfste mit seinem Rivalen Biller. Dabei sparten beide an Arbeitskräften und Minensicherheit, wo sie nur konnten. Was das anging, waren Marvin Lambert und sein Konkurrent Biller einer Meinung: Beide hielten Bergarbeiter für grundsätzlich arbeitsscheu und habgierig, und moderne Minentechnik fand nur da ihr Interesse, wo sie größeren Ertrag bot.
    Aber vielleicht beurteilte Timothy Marvin Lambert da auch zu voreilig. Schließlich war er erst seit dem vorherigen Tag wieder zu Hause, und sein Vater hatte dem Whisky schon ordentlich zugesprochen, bevor Timothy am späten Abend eingetroffen war. Tim selbst mochte nach der langen Reise müde und unleidlich gewesen sein. Acht Wochen Schifffahrt bis Lyttelton und dann die Zugfahrt nach Greymouth gingen nicht spurlos an einem vorbei. Immerhin hatte er von der Ostküste aus nicht reiten müssen. Die neu gebaute Bahnlinie machte die Reise zur Westküste schneller und komfortabler.
    Überhaupt hatte Neuseeland sich ziemlich verändert, seit man Timothy zehn Jahre zuvor nach Europa geschickt hatte. Zunächst in eine Privatschule, dann zum Studium der Bergbautechnik an verschiedene Universitäten und schließlich auf eine Rundreise durch die wichtigsten Kohlereviere der Alten Welt. Marvin Lambert hatte das alles bereitwillig finanziert. Timothy war schließlich sein Erbe; er sollte die Mine für die Familie erhalten und den Ertrag mehren. Und heute war sein erster Arbeitstag – zumindest ging Tim davon aus, dass er hier in der Mine erwartet wurde. Später würde er sich dann die Stadt anschauen.
    Greymouth war deutlich gewachsen, seit er den Ort als Vierzehnjähriger verlassen hatte. Damals hatte die Villa der Lamberts noch

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