Das Lied der Maori
braves Tier sei. Kura war beruhigt; schließlich würde sie das Tier selbst lenken müssen. Das klappte dann auch erstaunlich gut. Allerdings kam sie nicht besonders schnell vorwärts, denn der gemächliche kleine Braune war mit Gwyneiras Cobs nicht zu vergleichen. Kura fand das anfänglich fast beruhigend, da sie sich vor dem Kutschieren gefürchtet hatte. Nach einem halben Tag jedoch ging es ihr auf die Nerven. Sie versuchte, das Pferd anzutreiben, doch ohne Erfolg. So erreichte sie nicht, wie erhofft, gleich am ersten Tag Rangiora. In diesem kleinen Ort hatte das Ensemble vor Monaten auf dem Weg nach Blenheim gastiert, bevor es zur Nordinsel übersetzte. Allerdings waren sie damals mit schnellen Gespannen vor großen, bequemen Kutschen gereist, und die Meilen waren unter den Hufen der Pferde nur so dahingeschwunden. Kuras behäbiger Brauner dagegen brachte sie bloß bis nach Kaiapoi, einem Dorf, das nicht einmal ein richtiges Hotel aufwies. Das Etablissement, das diesen Namen trug, war ein schmieriges Bordell. Also schlief Kura im Mietstall, zusammengerollt auf dem Polster des Wagens, um sich nur ja keine Flöhe im Heu und Stroh zu holen. Immerhin half ihr der Besitzer des Stalles, das Pferd ein- und auszuspannen, und wurde dabei nicht zudringlich. Er fragte allerdings, wohin sie wolle und wer sie sei. Ihre Antwort, sie sei Sängerin auf Tournee, schien ihn eher zu belustigen als zu beeindrucken.
Insgesamt brauchte Kura drei Tage bis nach Rangiora. Wenn das so weiterging, würde sie jahrelang unterwegs sein, um auch nur die Südinsel zu umrunden. Am letzten Abend war sie verzweifelt und auch schon ziemlich abgebrannt. Pferd und Wagen waren teuer gewesen, und sie hatte nicht mit so vielen Übernachtungen gerechnet. So gab sie dem Bitten des Hotelbesitzers nach und unterhielt seine Gäste mit ein paar Liedern. Diesmal war es ein sauberes Haus; dennoch betrachtete Kura es als Erniedrigung, in einem Pub auftreten zu müssen. Die Zuhörer wussten sicher keine Opernarien zu schätzen; deshalb sang Kura ein paar Volkslieder und schaute mürrisch, beinahe verächtlich ins Publikum, als die Männer vor Begeisterung tobten.
Auch Rangiora selbst war eine Enttäuschung. Das Ensemble hatte damals in der Gemeindehalle gesungen und getanzt, und Kura war der Überzeugung gewesen, dass man ihnen die Halle kostenlos zur Verfügung gestellt hatte. Doch wie es aussah, war Miete zu entrichten. Außerdem musste der Reverend erst überredet werden, der einzelnen Sängerin den Saal zu überlassen.
»Sie betreiben doch wohl nichts Unschickliches, oder?«, fragte er skeptisch, obwohl er sich von dem Gastspiel damals an Kura erinnerte. »Damals haben Sie nicht viel gesungen, eigentlich mehr bei den anderen gestanden und hübsch ausgesehen.«
Kura versicherte dem misstrauischen Geistlichen, dass sie damals gerade erst zu den Sängern gestoßen war und noch nicht viel Bühnenerfahrung gehabt hatte. Jetzt war das anders. Ihr Vortrag der
Habanera
konnte den Reverend tatsächlich überzeugen. Doch ob ihr noch viel Geld übrig bleiben würde, wenn sie die Saalmiete entrichtete, das Hotel und den Mietstall bezahlte und zudem einen Jungen, der ihre Plakate aufhing?
Beim ersten Konzert waren zum Glück fast alle Plätze belegt. Rangiora war nicht gerade eine kulturelle Hochburg; hier gastierten selten Künstler. Allerdings zeigten die Leute sich längst nicht so begeistert wie bei Kuras Auftritten mit dem Ensemble. Niemand hier verstand wirklich etwas von Musik, doch die bunten Kostüme, die Vielfalt der Darbietungen und vor allem der Tanz zwischen den Opernszenen hatten die Menschen gefesselt. Kura, kastagnettenschwingend im Mittelpunkt des Chores, war ein Höhepunkt gewesen. Aber ein Mädchen, das allein am Klavier saß und sang? Schon nach einer halben Stunde wurden die Leute unruhig, begannen zu tuscheln und mit den Stühlen zu rücken. Am Ende applaudierten sie zwar, doch eher höflich als überschwänglich.
Zum zweiten Konzert kamen nur noch zehn Besucher. Das dritte ließ Kura ausfallen.
»Vielleicht, wenn Sie etwas Fröhlicheres singen würden ...«, riet der Reverend ihr. Ihn jedenfalls hatte Kura für sich gewonnen: Er war begeistert von ihrer Stimme und ihren Interpretationen verschiedener Opernarien. »Die Leute hier sind einfache Menschen.«
Kura würdigte ihn keiner Antwort. Sie fuhr weiter die Ostküste entlang und hielt sich Richtung Waipara. Mit dem Ensemble hatten sie erst in Kaikoura wieder gastiert, doch so lange
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