Das Lied der Maori
ziemlich allein am Fluss zwischen der Stadt und der Mine gestanden. Heute reichte die Bebauung bis fast an ihr Haus heran.
Im Kontor der Mine arbeiteten zwei Sekretäre sowie Marvin Lambert; auch hier zeigte sich der Alte sparsam. Das Ganze war überdies spartanisch eingerichtet, nicht vergleichbar mit den Palästen, die europäische Minenbesitzer sich leisteten. Marvin Lambert hob den Kopf von seinen Papieren und blickte seinen Sohn ungnädig an.
»Was machst du denn heute schon hier?«, fragte er wenig begeistert. »Ich dachte, du leistest deiner Mutter noch ein bisschen Gesellschaft. Nach der langen Zeit, die sie auf dich verzichten musste ...«
Tim verdrehte die Augen. Eigentlich waren ihm die Klagen seiner Mutter am Tag zuvor schon auf die Nerven gefallen. Nellie Lambert war weinerlich und hatte sich anfangs vor Rührung über seine Rückkehr kaum halten können – um ihm anschließend Vorwürfe wegen seines langen Ausbleibens zu machen. Als habe er seine Studien im Ausland nur deshalb betrieben, um sie zu kränken!
»Ich kann ja ein bisschen früher heimgehen«, meinte Tim unbekümmert. »Aber ich musste die Mine sehen! Was sich verändert hat, was sich verändern lässt ... Du hast einen beschäftigungslosen Bergbauingenieur vor dir, Vater! Ich brenne darauf, mich nützlich zu machen.« Er lächelte seinem Vater beinahe verschwörerisch zu.
Marvin Lambert warf einen Blick auf die Uhr.
»So gesehen kommst du reichlich spät«, brummte er. »Wir fangen hier um neun an.«
Timothy nickte. »Ich hatte den Weg unterschätzt. Vor allem seinen Zustand. Da muss unbedingt etwas geschehen. Wir müssen zumindest die Straßen in der Siedlung sanieren.«
Lambert nickte grimmig. »Die ganze Kloake muss weg! Wie sieht das aus, rund um die Mine! Irgendwann werde ich diese so genannten ›Häuser‹ einreißen lassen und das Gelände absperren. Kein Mensch hat diesen Kerlen erlaubt, da ihre Hütten hinzustellen.«
»Wo sollen sie denn sonst hin?«, erkundigte sich Timothy verwundert. Das Gelände für die Mine war den Farnwäldern der Westküste mühsam abgetrotzt worden. Die Männer müssten neues Siedlungsland erschließen, wenn sie außerhalb bauen wollten; hinzu kamen die weiten Wege. Es war deshalb allgemein üblich, die Bergarbeiter gleich rund um den Mineneingang anzusiedeln.
»Ist mir doch egal. Mir wird’s hier jedenfalls zu viel mit ihren Drecklöchern. Unglaublich, wie man so hausen kann. Aber ich sagte ja schon – Abschaum. Die schicken uns alles das aus Europa, was sie in England und Wales nicht brauchen können!«
Timothy hatte das am Abend zuvor schon gehört und seinem Vater energisch widersprochen. Schließlich kam er gerade aus England und wusste, dass die Auswanderung nach Neuseeland in den europäischen Gruben eher als Ausweg in ein besseres Leben galt. Die Männer machten sich Hoffnung, dort mehr zu verdienen, und meist waren es eher die Besten und Unternehmungslustigsten, die oft monatelang für die Schiffspassage sparten. Diese Hölle da draußen hatten sie nicht verdient.
Nichtsdestotrotz hielt Tim jetzt den Mund. Es brachte vorerst nichts, diese Diskussion wiederzubeleben. Er musste seinen Vater darauf ansprechen, wenn der besserer Laune war.
»Wenn es dir recht ist, würde ich gern mal einfahren und mir die Mine ansehen«, meinte er daher, ohne auf Marvins Gepolter einzugehen. Das musste sein, obwohl Timothy schon ein Blick aus dem Fenster reichte, um die Lust daran zu verlieren. Bereits der Mineneingang machte keinen vertrauenswürdigen Eindruck. Sein Vater hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, die Waschkaue zu überdachen, und der Förderturm wirkte wie aus der Frühzeit der Bergbautechnik. Wie mochte es erst drinnen aussehen?
Marvin Lambert zuckte die Schultern. »Wie du willst. Obwohl ich nach wie vor der Ansicht bin, dass du eher im Vertrieb und in der Arbeitsorganisation gebraucht wirst als unter Tage ...«
Tim seufzte. »Ich bin Bergbauingenieur, Vater. Von Geschäften verstehe ich nicht viel.«
»Das wirst du hier sehr schnell lernen.« Auch das ein Thema, das bereits zur Sprache gekommen war. Marvin hielt die Kenntnisse, die Tim in Europa erworben hatte, für nur begrenzt verwertbar. Er wollte keinen Ingenieur, sondern einen fähigen Kaufmann und gewieften Geschäftsmann. Tim fragte sich, warum sein Vater ihn Bergbautechnik statt Wirtschaft hatte studieren lassen. Allerdings hätte er sich ohnehin geweigert, als Kaufmann zu arbeiten. Dazu war er nicht geboren.
Tim
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