Das Lied der Maori
bemerkte sie. »Und genau so etwas hat Lady Chesfield angedeutet. William Martyn soll an einem Attentat beteiligt gewesen sein.«
Ruben runzelte die Stirn. »Wann denn? Soweit ich weiß, fanden die letzten größeren Aufstände in Dublin 1867 statt. Und von Einzelaktivitäten der Fenier oder ähnlicher Vereinigungen stand nichts in der
Times
.« Ruben erhielt englische Zeitungen zwar meist mit einer Verspätung von einigen Wochen, doch er las sie aufmerksam.
Fleurette zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich wurde es früh genug vereitelt. Oder es war nur geplant, was weiß ich. Schließlich sitzt dieser William ja auch nicht im Gefängnis, sondern macht hier ganz offen und unter seinem richtigen Namen unserer Tochter den Hof. Ach ja, in der Angelegenheit fiel übrigens noch ein Name. Es ging um einen John Morley ...«
Ruben lächelte. »Dann ist es sicher ein Irrtum. John Morley of Blackburn ist Chief Secretary for Ireland und residiert in Dublin. Er unterstützt die Home Rule. Das heißt, er ist auf Seiten der Iren. Es läge ganz und gar nicht im Interesse der Landliga, ihn umzubringen.«
Fleurette begann die Teller zu füllen. »Ich sag’s ja, die Chesfields drückten sich nicht sehr klar aus«, meinte sie dabei. »Kann durchaus sein, dass an der Sache gar nichts dran ist. Eins steht jedenfalls fest: William Martyn ist jetzt hier und nicht in seinem geliebten Irland. Seltsam für einen Patrioten. Wenn die aus eigenem Antrieb auswandern, dann doch höchstens nach Amerika, wo sie Gleichgesinnte treffen. Ein irischer Aktivist auf den Goldfeldern von Queenstown scheint mir ungewöhnlich.«
»Aber doch nichts Schlimmes!«, erklärte Elaine eifrig. »Vielleicht will er Gold finden und dann seinem Vater das Land abkaufen und ...«
»Sehr wahrscheinlich«, sagte Georgie. »Warum kauft er nicht gleich ganz Irland von der Queen?«
»Wir sollten uns den jungen Mann auf jeden Fall mal ansehen«, beendete Ruben schließlich das Thema. »Wenn er wirklich mit dir spazieren gehen sollte«, er zwinkerte Elaine zu, der bei dieser Aussicht beinahe der Atem stockte, »und das ist eine von ihm geäußerte Absicht, die mir ein Vögelchen gezwitschert hat, darfst du ihn zum Abendessen einladen. So, und nun zu dir, Georgie. Was hörte ich heute Morgen von Miss Carpenter über deine Mathematikarbeit?«
Während ihr Bruder sich möglichst um nähere Auskünfte herumwand, konnte Elaine vor Aufregung kaum etwas essen. William Martyn interessierte sich für sie! Er wollte mit ihr spazieren gehen! Vielleicht auch mal tanzen! Oder erst mal zur Kirche. Ja, das wäre fabelhaft! Jeder würde sehen, dass sie, Elaine O’Keefe, eine umschwärmte junge Dame war, die es geschafft hatte, den einzigen britischen Gentleman, der sich je nach Queenstown verirrt hatte, für sich zu interessieren. Die anderen Mädchen würden platzen vor Neid! Und erst ihre Cousine. Diese Kura-maro-tini, von der alle erzählten, wie schön sie sei. Und um deren Besuch in Queenstown es ein dunkles Geheimnis gab, das bestimmt mit einem Mann zu tun hatte! Was gab es schließlich sonst für dunkle Geheimnisse? Elaine konnte kaum abwarten, dass William sie fragte. Und wohin ging er wohl mit ihr spazieren?
Elaine ging schließlich mit William spazieren – nachdem er sie artig gefragt hatte, ob sie Lust hätte, ihn einmal durch Queenstown zu führen. Elaine fragte sich allerdings, wozu er eine Führung nötig hatte. Schließlich bestand Queenstown nach wie vor praktisch nur aus der Main Street, und der Friseurladen, die Schmiede, das Postamt und der General Store benötigten eigentlich keine weiteren Erklärungen. Spannend war höchstens Daphne’s Hotel, aber um dieses Etablissement würden Elaine und William natürlich einen großen Bogen machen. Elaine entschloss sich schließlich, den Begriff »Stadt« ein bisschen weiter zu fassen und ihren Schwarm über die Uferstraße zum See zu führen.
»Der Wakatipu ist riesig, auch wenn er wegen der Berge im Umland gar nicht so groß wirkt. Aber tatsächlich misst er hundertfünfzig Quadratmeilen. Und er ist dauernd in Bewegung. Ständig steigt und fällt das Wasser. Die Maoris sagen, das sei der Herzschlag eines Riesen, der am Boden des Sees schläft. Aber das ist natürlich nur eine Geschichte. Die Maoris kennen viele solcher Märchen, wissen Sie.«
William lächelte. »Mein Land ist ebenso reich an Geschichten. Von Feen und Seelöwen, die bei Vollmond menschliche Gestalt annehmen ...«
Elaine nickte eifrig. »Ja, ich
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