Das Lied der Maori
es zweifellos darstellen würde – wusste deshalb schon der ganze Ort.
»Er ist ein Gentleman, Daddy. Wirklich. Sein Vater hat ein Gut in Irland. Und er hat sogar Jura studiert!«, verkündete Elaine, Letzteres nicht ohne Stolz. War es doch ein echter Trumpf im Blatt ihres Schwarms.
»Aha. Und dann ist er ausgewandert, um Gold zu suchen? Gibt’s in Irland zu viele Anwälte, oder was?«, erkundigte sich Ruben.
»Du wolltest auch mal Gold suchen!«, erinnerte ihn seine Tochter.
Ruben lächelte. Elaine wäre wohl auch keine schlechte Anwältin geworden. Im Grunde fiel es ihm schwer, ihr gegenüber streng zu sein, denn sosehr er seine Söhne liebte – seine Tochter vergötterte er. Elaine glich aber auch zu sehr seiner geliebten Fleurette. Abgesehen von ihrer Augenfarbe und dem vorwitzigen Näschen kam sie ganz nach ihrer Mutter und Großmutter. Der Rotton ihres Haares wich ein bisschen von der ihrer weiblichen Verwandten ab. Elaines Haar war dunkler und vielleicht noch feiner und krauser als Fleurettes und Gwyneiras. Ruben selbst hatte seine ruhigen grauen Augen und sein braunes Haar nur seinen Söhnen vererbt. Besonders Stephen galt als »ganz der Vater«. Sein Jüngster, Georgie, war unternehmungslustig und immer zu Streichen aufgelegt. Im Grunde passte es hervorragend: Stephen würde in Bezug auf die Juristerei in Rubens Fußstapfen treten, Georgie interessierte sich für den Handel und träumte von Filialen des O’Kay Warehouse. Ruben war ein glücklicher Mann.
»Es gab einen Skandal um William Martyn«, bemerkte Fleurette beiläufig, während sie einen Auflauf auf den Tisch stellte. Das Gleiche gab es heute in Helens Pension; Fleurette hatte also nicht gekocht, sondern bei Laurie und Mary ein »Dinner zum Mitnehmen« bestellt. Im Laden war sie allerdings nicht gewesen.
»Woher weißt du das denn?«, fragte Ruben, während Elaine vor Verblüffung fast ihre Gabel fallen ließ.
»Wieso Skandal?«, murmelte sie.
Über Fleurettes immer noch elfenhaftes Gesicht ging ein Strahlen. Sie war stets eine begnadete Spionin gewesen. Ruben konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie ihm einst das »Geheimnis um O’Keefe und Kiward Station« enthüllt hatte.
»Nun, ich habe heute Nachmittag die Brewsters besucht«, meinte sie jetzt leichthin. Ruben und Fleurette kannten Peter und Tepora Brewster seit ihrer Kindheit. Peter war Import-Export-Kaufmann und hatte zunächst einen Wollhandel in den Canterbury Plains aufgebaut. Aber dann hatte seine Frau Tepora, eine Maori, in Otago Land geerbt, und die beiden waren hierher gezogen. Sie lebten nun in der Nähe von Teporas Stamm, zehn Meilen westlich von Queenstown, und Peter dirigierte den Weiterverkauf des hier geförderten Goldes in aller Herren Länder. »Sie haben gerade Besuch aus Irland. Die Chesfields.«
»Und du bist der Meinung, dieser William Martyn sei in ganz Irland bekannt wie ein bunter Hund?«, erkundigte sich Ruben. »Wie kamst du auf die Idee?«
»Nun, ich hatte Recht, oder?«, erwiderte Fleurette spitzbübisch. »Aber ohne Scherz, wissen konnte ich das natürlich nicht. Doch Lord und Lady Chesfield gehören zweifellos zum englischstämmigen Adel. Und nach dem, was Grandma Helen schon herausgefunden hat, stammt der junge Mann aus ähnlichen Kreisen. Und sooo groß ist Irland ja auch wieder nicht.«
»Und was hat Lainies Schatz jetzt angestellt?«, fragte Georgie neugierig und grinste schadenfroh zu seiner Schwester hinüber.
»Er ist nicht mein Schatz!«, brauste Elaine auf, verkniff sich aber weitere Bemerkungen. Auch sie wollte schließlich wissen, welcher Skandal sich um William Martyn rankte.
»Nun, so genau weiß ich das auch nicht. Die Chesfields ergingen sich da in Andeutungen. Jedenfalls ist Frederic Martyn ein durchaus gewichtiger Landlord, da hat Lainie schon Recht. William hat allerdings nichts zu erben, er ist der jüngere Sohn. Und außerdem das schwarze Schaf der Familie. Er sympathisierte mit der Irischen Landliga ...«
»Das spricht ja eher für den Knaben«, warf Ruben ein. »Was die Engländer sich da in Irland leisten, ist ein Verbrechen. Wie kann man die Hälfte der Bevölkerung verhungern lassen, wenn man selbst auf gefüllten Kornspeichern sitzt? Die Pächter arbeiten für einen Hungerlohn, und die Landlords werden dick und fett. Ist doch schön, wenn der junge Mann sich für die Bauern einsetzt!«
Elaine strahlte.
Ihre Mutter hingegen blickte eher besorgt. »Nicht, wenn der Einsatz in terroristische Aktivitäten ausartet«,
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