Das Lied der Maori
weiß. Ich habe ein Buch, in dem irische Märchen erzählt werden. Und mein Pferd ist nach einer Fee benannt. ›Banshee.‹ Möchten Sie Banshee mal kennen lernen? Sie ist ein Cob! Meine andere Großmutter hat Banshees Vorfahren aus Wales mitgebracht ...«
William tat, als höre er ihr aufmerksam zu, interessierte sich aber nicht sonderlich für Pferde. Banshee wäre ihm auch egal gewesen, hätte Gwyneira Warden ihre Ahnen aus Connemara importiert. Viel wichtiger fand er den Umstand, dass er am Abend, nach diesem Spaziergang, Elaines Eltern, Ruben und Fleurette O’Keefe, kennen lernen sollte. Natürlich hatte er beide bereits gesehen und sich kurz mit ihnen unterhalten. Schließlich tätigte er alle Einkäufe in ihrem Laden. Aber nun war er bei ihnen zum Dinner geladen, würde also private Kontakte knüpfen. Und das war bitter nötig, wie es aussah. Schließlich hatte Joey ihm am Morgen ihre Zusammenarbeit aufgekündigt. Während der alte Goldsucher in den ersten Tagen noch geduldig gewesen war, ging ihm Williams »mangelnder Biss«, wie er es nannte, schon nach einer knappen Woche auf die Nerven. Dabei fand William es ganz normal, die Sache mit der Goldrinne nach den ersten Tagen Schwerstarbeit ein bisschen langsamer angehen zu lassen. Schließlich musste sein Muskelkater erst mal nachlassen. Und man hatte ja Zeit. William zumindest war nicht in Eile. Joey dagegen hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass für ihn jeder Tag ohne Goldfunde ein verlorener Tag war. Wobei er nicht von murmelgroßen Nuggets träumte, sondern nur von ein bisschen Goldstaub, der ihm seinen Whisky und seine tägliche Portion Stew oder Hammelfleisch am Lagerfeuer sicherte.
»Mit so ’nem verwöhnten Bürschchen wie dir gibt das nie was!«, hatte er William entgegengeschleudert. Anscheinend hatte sich ein anderer Partner gefunden, der einen mindestens ebenso vielversprechenden Claim vorzuweisen hatte und bereit war, mit Joey zu teilen. Joeys eigener Claim war längst ausgebeutet; er hatte bei der Zuteilung wenig Glück gehabt.
William jedenfalls musste nun allein weitermachen oder sich eine andere Beschäftigung suchen. Wobei er Letzteres vorgezogen hätte. Denn schon jetzt boten die frühen Morgen- und späten Abendstunden einen Vorgeschmack des Winters in den Bergen. Queenstown sollte im Juli und August völlig verschneit sein, was sicher sehr hübsch aussah. Aber Goldwaschen an vereisten Flüssen? William konnte sich Schöneres vorstellen. Vielleicht hatte Ruben O’Keefe ja eine Idee.
William hatte das Haus der O’Keefes bereits beim Vorbeifahren auf dem Fluss gesehen. Verglichen mit Martyn’s Manor war es nicht sehr beeindruckend – ein heimeliges Holzhaus mit Garten und ein paar Ställen. Aber hier in diesem neuen Land musste man wohl Abstriche machen, was herrschaftliches Wohnen anging. Und abgesehen von der etwas primitiven Architektur hatte Goldnugget Manor durchaus einiges mit den Wohnsitzen englischer Landadeliger gemeinsam – zum Beispiel die Hunde, die auf einen zusprangen, sobald man das Grundstück betrat. Williams Mutter hatte Corgies gehabt, hier verlegte man sich auf eine Art Collie. Hütehunde, und, wie Elaine gleich darauf begeistert ausführte, ebenfalls ein Import aus Wales. Elaines Mutter Fleurette hatte die Hündin Gracie aus den Canterbury Plains mitgebracht, und Gracie hatte sich eifrig vermehrt. Wozu man die Tiere hier brauchte, war William ein Rätsel, doch für Elaine und ihre Familie gehörten sie wohl einfach dazu. Ruben O’Keefe war noch nicht eingetroffen, und so musste William denn auch noch eine Führung durch die Ställe über sich ergehen lassen und Elaines wunderbare Banshee kennen lernen.
»Sie ist etwas Besonderes, weil sie ein Schimmel ist! Das hat man ganz selten unter Cobs. Meine Großmutter hatte sonst nur Rappen und Braune. Aber Banshee geht auf ein Welsh Mountain Pony zurück, das Mutter bekam, als sie ein Kind war. Es ist unheimlich alt geworden, ich bin sogar selbst noch darauf geritten ...«
Elaine plapperte unaufhörlich, aber das störte William nicht sonderlich. Er fand das Mädchen entzückend, ihr übersprudelndes Temperament hob seine Stimmung. Elaine schien niemals stillstehen zu können. Ihre roten Locken wippten im Rhythmus jeder Bewegung. Heute hatte sie sich außerdem für ihn hübsch gemacht. Sie trug ein grasgrünes Kleid, abgesetzt mit brauner Klöppelspitze. Ihr Haar versuchte sie mit Samtbändern in einer Art Pferdeschwanz zu halten, aber das war
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