Das Lied der Maori
viel schlimmer enden können als hier in der lieblichen Umgebung des friedlichen Queenstown.
»Was haste überhaupt gemacht, drüben in Irland?«, fragte Joey jetzt. Die beiden hatten ihr Tagewerk endlich beendet und paddelten müde heimwärts. Auf William wartete das Badehaus und ein gepflegtes Nachtmahl in Miss Helens Pension – auf Joey ein whiskygeschwängerter Abend am Lagerfeuer der Goldgräberkolonie Skippers.
William zuckte die Achseln. »Auf einer Schaffarm gearbeitet.«
Im Wesentlichen entsprach das der Wahrheit. Das Land der Martyns war weitläufig und bot erstklassige Weidegründe. Deshalb hatte Frederic Martyn auch kaum Einbußen durch die Kartoffelfäule erlitten. Die betraf nur seine Pächter und Landarbeiter, die sich auf kleinen Anbauflächen selbst ernährten.
»Wolltste dann nich’ lieber in die Canterbury Plains?«, erkundigte Joey sich gemütlich. »Da gibt’s Millionen Schafe.«
Das hatte William auch gehört. Aber seine Anteile an der Farmarbeit hatten eigentlich eher Verwaltertätigkeiten beinhaltet als tatsächliches Zugreifen. Er wusste zwar theoretisch, wie man ein Schaf schor, aber tatsächlich hatte er es noch nie getan und erst recht nicht in Rekordzeit wie die Männer der Schererkolonnen in den Canterbury Plains. Die besten sollten achthundert Schafe am Tag von ihrer Wolle befreien! Das waren kaum weniger Tiere, als die Farm der Martyns insgesamt beherbergte! Andererseits hätte vielleicht mancher Farmer im Osten einen fähigen Verwalter oder Aufseher gebraucht – ein Job, den William sich durchaus zutraute. Nur reich werden konnte man dabei wohl kaum. Und bei allem sozialen Engagement: Auf die Dauer hatte William nicht vor, bei der Lebensqualität Abstriche zu machen!
»Vielleicht kauf ich mir ’ne Farm, wenn wir hier genug Gold gefunden haben«, meinte William. »So in ein, zwei Jahren ...«
Joey lachte. »Sportsgeist haste jedenfalls! So, hier kannste aussteigen ...« Er lenkte das Boot ans Ufer. Der Fluss schlängelte sich im Osten an Queenstown vorbei und mündete dann im Süden der Stadt, unterhalb des Goldgräberlagers, in den See. »Ich hol dich morgen wieder hier ab, sechs Uhr früh, frisch und munter!«
Joey winkte seinem neuen Partner vergnügt zu, während William sich ein wenig mühsam auf den Weg in die Stadt machte. Nach der Ruhepause im Boot schmerzten ihn jetzt alle Knochen. An einen weiteren Tag Holzfällen mochte er gar nicht denken.
Immerhin begegnete ihm gleich auf der Main Street etwas Erfreuliches. Elaine O’Keefe kam mit einem Korb Wäsche aus der chinesischen Wäscherei und steuerte Miss Helens Pension an.
William schenkte ihr ein Lächeln. »Miss Elaine! Ein schönerer Anblick als ein Goldnugget! Kann ich Ihnen das abnehmen?«
Trotz schmerzender Muskeln griff er, ganz Gentleman, nach dem Korb. Elaine zierte sich nicht. Erfreut lud sie ihre Last bei ihm ab und schlenderte dann unbeschwert neben ihm her. Sofern man sich gleichzeitig damenhaft und unbeschwert bewegen konnte! Mit dem schweren Korb am Arm wäre ihr das kaum möglich gewesen. Wie hatte Miss Daphne mal ketzerisch erwähnt: »Eine Dame zu sein muss man sich leisten können.«
»Haben Sie denn heute schon so viele Nuggets gefunden?«, erkundigte sich Elaine. William überlegte, ob sie nur naiv war oder ob sie es ironisch meinte. Dann beschloss er, die Sache als Neckerei zu nehmen. Elaine verbrachte schon ihr ganzes Leben in Queenstown. Sie musste wissen, dass man auf den Goldfeldern nicht so schnell reich wurde.
»Das Gold in Ihrem Haar ist das erste an diesem Tag«, gab er zu und verband das Geständnis so immerhin mit einer Schmeichelei. »Aber das hat ja leider schon eine Besitzerin. Sie sind reich, Miss Elaine!«
»Und Sie sollten sich bei den Maoris einführen. Die würden Sie glatt zum
tohunga
erklären. Ein Meister des
whaikorero
...«, kicherte Elaine.
»Des was?«, fragte William. Maoris, die Eingeborenen Neuseelands, waren ihm bisher noch kaum begegnet. Es gab Stämme am Wakatipu wie in ganz Otago, aber die aufstrebende Goldgräberstadt Queenstown war den Maoris zu hektisch. Nur selten verirrte sich einer von ihnen in die Stadt, auch wenn sich inzwischen ein paar Männer den Goldsuchern angeschlossen hatten. Sie hatten ihre Dörfer und Familien meist nicht ganz freiwillig verlassen, sondern waren Versprengte und Verlorene – so wie die Mehrzahl der weißen Männer, die hier ihr Glück versuchten. Sie unterschieden sich im Verhalten auch kaum von ihnen, und keiner
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