Das Lied der Maori
Gesten. Kura fiel auf, dass Caleb vor Bewunderung kaum dazu kam, die Musik in Noten zu fassen. Endlich einmal bekam er leuchtende Augen, was Kura endgültig klarmachte, warum all ihre Reize an ihn verschwendet waren. Später drängte er sie, ihm die Texte zu übersetzen, doch Kura drückte sich um die obszönen Inhalte lieber herum.
Kurz bevor die beiden sich schließlich wieder auf den Weg nach Greymouth machten, hatte Kura allerdings noch eine Begegnung, die ihr mehr zu denken gab als Calebs offensichtliche Bevorzugung des männlichen Geschlechts.
Die Gemahlin des Häuptlings, eine resolute, kräftige Frau, die den
haka
stets in der ersten Reihe getanzt hatte, sprach sie an, während sie ihre Sachen zusammensuchte.
»Ihr kommt doch aus Greymouth, nicht wahr? Weißt du, ob das flammenhaarige Mädchen noch da ist?«
»Ein rothaariges Mädchen?« Kura dachte sofort an Elaine, tat aber unschlüssig.
»Ein zierliches kleines Wesen, sieht dir sogar ein bisschen ähnlich – wenn man gute Augen hat!« Die Häuptlingsfrau lächelte, als sie Kuras beinahe empörtes Gesicht sah.
Kura nickte. »Elaine? Die ist noch da. Spielt Klavier in einem Pub. Warum? Kennt ihr sie?«
»Wir haben sie damals gefunden und nach Greymouth geschickt. Es ging ihr ziemlich schlecht. Sie war tagelang durch die Berge geirrt, mit ihrem kleinen Hund und ihrem Pferdchen. Ich hätte sie gern bei uns behalten, aber die Männer fanden es zu gefährlich. Und das war auch richtig so, er sucht sie ja immer noch. Aber solange sie bleibt, wo sie ist, sollte sie sicher sein ...«
Die Frau wandte sich ab. Kura bezähmte ihre Neugier und verzichtete auf die Frage, was Greymouth so viel sicherer machte als jedes andere Kaff an der Westküste und wer Elaine überhaupt suchte. Wahrscheinlich ihr Ehemann, dem sie entlaufen war. Aber das war lange her. Er sollte sich allmählich damit abfinden, dass Elaine nicht wiederkam.
Was Liebe und Ehe anging, war Kura ganz von der Kultur ihrer Mutter geprägt. Ein Mädchen suchte sich den Mann aus, zu dem sie gehören wollte, und wenn er dann ihren Vorstellungen nicht entsprach, nahm sie sich einen anderen. Warum das bei den
pakeha
bloß immer gleich mit Heirat verbunden sein musste! Kura warf einen ungnädigen Blick auf Caleb Biller. Irgendwann würden dessen Eltern darauf drängen, ihn zu verheiraten.
Die Hochzeitsnacht des betroffenen Mädchens mochte Kura sich kaum ausmalen.
6
William Martyn hatte die Nordinsel mit Nähmaschinen geradezu überschwemmt. Zunächst hatte man ihm einen wenig attraktiven Bezirk an der Ostküste zugeteilt. Doch getreu den Lehren des Verkaufsgenies Carl Latimer, der selbst an der frauenarmen Westküste der Südinsel massenhaft Nähmaschinen loswurde, reiste William gelassen von Farm zu Farm. Zwischendurch informierte er sich über die wichtigsten Neuigkeiten und hatte immer etwas mit der Herrin des Hauses zu plaudern, bevor er seine Wundermaschine auspackte.
Die Begehrlichkeiten der Dame waren dann schnell geweckt – und auch hier hatte Latimer nicht übertrieben. Abgelegene Bezirke boten zwar weniger Märkte, dafür aber immer ein kostenloses und mitunter sogar angewärmtes Nachtlager. William überzeugte seine Gastgeberinnen denn auch in jeder Beziehung. Manchmal fragte er sich, ob besonders die gut betuchten, aber einsamen Frauen auf den größeren Höfen nicht nur deshalb eine Maschine kauften, um seinen »Kundendienst« beim nächsten Halt in der Gegend noch einmal nutzen zu können.
Ärmere Frauen und Mädchen köderte er eher mit dem Argument der Geldersparnis beim Selbernähen und einer möglichen weiteren Verdienstmöglichkeit durch die Anfertigung von Kleidern für Nachbarsfrauen. Schließlich sprengten seine Verkaufszahlen alle Erwartungen, und die Firma versetzte ihn in den weitaus attraktiveren Bezirk um Auckland. Hier verlegte William sich zusätzlich auf die Anregung industrieller Produktion von Kleidungsstücken. Statt nur Frauen zu seinen Demonstrationen einzuladen, wandte er sich mit Flugzetteln an Einwanderer, die im neuen Land eine Existenz gründen wollten. Mittels Ankauf von drei oder vier Nähmaschinen konnte William zufolge jeder Kleider en gros produzieren und gewinnbringend vertreiben. William versprach, beim nächsten Stopp in der Gegend die Näherinnen persönlich zu schulen, und das tat er dann auch. Trotzdem machten die meisten Betriebe mangels kaufmännischer Begabung der Betreiber bald pleite. Doch zwei oder drei Kleinunternehmen
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