Das Lied der Maori
geschlossen war. Mrs. Biller lud Kura auch immer wieder zum Tee ein – eigentlich verschwendete Zeit, doch Kura fand es weitaus angenehmer, im Salon der Billers an Calebs perfekt gestimmtem Flügel zu arbeiten als in Paddys verräuchertem Pub. Also verabredete sie sich oft zuerst mit Caleb zum Musizieren und trank anschließend Tee mit seiner Mutter. Das Ganze hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass Mrs. Biller ausgesprochene Leckereien zum Tee servierte. Kura sparte das Essen für den ganzen Tag.
»Ich mag es, wenn junge Leute kräftig zulangen!«, begeisterte sich Mrs. Biller, wenn Kura ihre Sandwiches und Teekuchen zwar mit anmutigsten Bewegungen, aber in Mengen vertilgte. »Danke«, sagte Kura.
Sie spürten den nächsten Maori-Stamm in der Nähe von Punakaiki auf, einem winzigen Ort zwischen Greymouth und Westport. Die Felsformation der »Pancake Rocks« in der Gegend sei berühmt, wie Caleb sofort begeistert erzählte, als Kura ihm den Ort nannte. Obwohl kaum am praktischen Bergbau interessiert, war er doch ein begeisterter Geologe und schlug vor, den Besuch bei dem Stamm mit einer Besichtigung zu verbinden. Vielleicht fände sich dort in der Nähe ja auch ein Gasthof, in dem man die Nacht verbringen könne.
»Der Stamm wird uns einladen, bei ihm zu nächtigen«, bemerkte Kura.
Caleb nickte, wirkte allerdings ein wenig nervös. »Ich weiß nicht ... wäre das denn schicklich? Ich möchte Ihnen auf keinen Fall zu nahetreten.«
Kura lachte und versuchte wieder einmal, ihn durch Streicheln übers Haar und den Nacken aus der Reserve zu locken. Dabei streifte sie ihn obendrein mit ihren Hüften, doch er wirkte allenfalls peinlich berührt.
»Caleb, ich bin zur Hälfte Maori. Alles, was für mein Volk schicklich ist, ist auch für mich akzeptabel. Und Sie werden sich ebenfalls mit den Sitten meiner Leute anfreunden müssen. Wir wollen den Stamm schließlich bitten, uns sein typisches Liedgut, seinen ganz speziellen Stammes-
haka
zugänglich zu machen. Und das geht nicht, wenn Sie die Leute wie exotische Tiere behandeln.«
»Oh, ich habe größten Respekt ...«
Kura hörte nicht weiter zu. Vielleicht würde Caleb sich ja aus Respekt vor den Bräuchen ihres Volkes endlich einmal gehen lassen. Vorerst jedoch verbrachte sie ihre Nächte weiter damit, sich selbst zu streicheln und von William zu träumen.
Die Reise zu den Pancake Rocks nahm mit Kuras Kutsche und ihrem Pferd fast einen ganzen Tag in Anspruch. Eigentlich hatte sie auf ein schnelleres Gespann aus den Ställen der Billers gehofft. Aber Caleb verstand sich fast ebenso wenig auf Pferde und Kutschieren wie das Mädchen. So waren beide ganz froh zu hören, dass man die Pancake Rocks besser erwanderte, als den schwierigen Weg mit dem Wagen anzugehen. Zumal stürmisches Wetter herrschte, was Kuras Pferd immer ein wenig irritierte.
Für die Pancake Rocks sei ein solches Wetter allerdings ideal, erklärte ihnen der Wirt des Pubs in Punakaiki, der auch ein paar Zimmer vermietete.
»Richtig spektakulär ist die Wirkung nur bei hohem Wellengang. Dann sieht’s so aus, als würden die Pfannkuchen auf Geysiren gegrillt!«, sagte der Mann lachend und strich begeistert das Geld für zwei Einzelzimmer ein. Natürlich war er davon überzeugt, dass dieses junge Paar eigentlich nur eines gewollt hatte, und wo die zwei letztlich nächtigen würden, war ihm herzlich egal. Das hatte ihn allerdings nicht gehindert, bei ihrem Eintreffen mit strengem Gesicht nach einem Trauschein zu fragen. Der Erfolg dieses Coups hob seine Laune, woraufhin er sich bereitwillig als Fremdenführer betätigte.
Kura und Caleb schlenderten also zwischen den seltsamen, pfannkuchenrunden Felsschichten am brausenden Meer entlang. Kuras offenes Haar flog im Wind. Sie sah hinreißend aus. Auf Caleb hatte das allerdings keine Wirkung; er dozierte nur hochinteressiert über die Dichte von Kalkstein und die Wirkung von Wasserkraft.
Dafür lockte Kuras Schönheit zwei junge Maoris an, die kurz mit ihr sprachen und die beiden Wanderer dann zu ihrem Stamm einluden. Dabei stellte sich heraus, dass sie schon von Kura gehört hatten. Spätestens seit ihrem Gastspiel beim Stamm bei Blenheim war sie als
tohunga
anerkannt, und die jungen Männer taten zumindest so, als könnten sie es kaum erwarten, ihre Musik zu hören. Tatsächlich sprachen ihre Blicke auf Kuras Brüste und Hüften allerdings eine andere Sprache. Caleb bemerkte es peinlich berührt. Er drängte darauf, der Einladung nicht
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