Das Lied der Maori
sofort zu folgen, sondern erst am nächsten Tag zum Dorf der Maoris aufzubrechen.
»Die beiden Jungs erschienen mir nicht sehr vertrauenerweckend«, meinte er besorgt, als er Kura zum Pub zurückführte. »Wer weiß, was sie mit uns angestellt hätten, wenn wir ihnen einfach so in die Wildnis gefolgt wären. Schließlich wird es bald dunkel.«
Kura lachte. »Sie hätten gar nichts mit uns angestellt, obwohl sie mit
mir
zweifellos gern etwas anstellen würden. Nun gucken Sie nicht so, Caleb, das ist doch nur schmeichelhaft für mich! Wahrscheinlich hätten sie uns auf dem ganzen Weg irgendwelche waghalsigen Kunststücke vorgeführt, um mich vielleicht doch noch aus Ihrem Bett weg und in das eigene zu locken ...«
»Kura!« Caleb blickte sie entrüstet an.
Kura kicherte. »Nun seien Sie doch nicht so prüde! Oder soll ich erzählen, wir wären verheiratet? Dann lassen sie mich in Ruhe ...«
Caleb wirkte beinahe gequält, und Kura ärgerte ihn nicht mehr. Er rührte sie zwar auch an diesem Abend nicht an, erwies sich aber als äußerst großzügig und kultiviert, indem er Kura zum besten Essen und zum besten Wein einlud, den Punakaiki zu bieten hatte. Das war zwar nicht viel, doch seit Kura ein weitgehend mittelloses Wanderleben führte, wusste sie auch kleine Gesten zu schätzen.
Am nächsten Morgen folgte Kura der Beschreibung der beiden Maoris zu ihrem
kainga
und fand das Dorf sofort. Caleb war überrascht von seiner Größe. Bisher war er anscheinend der Ansicht gewesen, die Maoris lebten in Zelten wie die Indianer in Amerika. Die Vielfalt der Einzelhäuser, Schlafhäuser, Kochhäuser und Vorratshäuser erstaunte ihn.
Kura fragte sich wieder einmal, wie weltfremd manche
pakeha
-Kinder aufwuchsen. Sicher, unmittelbar bei Greymouth gab es keine feste Maori-Siedlung, aber soweit sie wusste, war Caleb durchaus schon in mehreren Städten der Südinsel und sogar in Wellington und Auckland gewesen. Hatte es da wirklich keine Möglichkeit gegeben, die Kultur der Maoris kennen zu lernen? Andererseits war Caleb damals noch ein Kind gewesen. Fast seine gesamten Jugendjahre hatte er, wie Tim Lambert, in englischen Internaten und Universitäten verbracht.
Wie erwartet wurden sie gastlich aufgenommen und mussten die Dörfler gar nicht erst bitten, ihnen die wichtigsten
haka
zu zeigen. Stattdessen wurden sie gleich mit dem ersten empfangen.
»Diese Stammes-
haka
haben eine seltsame Geschichte«, erklärte Kura dem interessierten Caleb, während die Männer und Frauen ihren persönlichen Tanz zeigten. »Ursprünglich wurden sie von verfeindeten Stämmen verfasst und dienten dazu, den Stamm zu verhöhnen. Aber dann übernahmen die Stämme sie selbst, aus Stolz, dass jemand genug Angst oder Respekt vor ihnen hatte, um einen Wehrgesang zu dichten.«
Kura sprach natürlich fließend Maori, aber zur Begeisterung der Dörfler hatte auch Caleb schon etliche Brocken aufgeschnappt und lernte im Laufe des Tages einiges dazu. Selbst Kura war überrascht, wie leicht es ihm fiel. Auch sie war hochmusikalisch und hatte während ihres Gesangsstudiums deutsche und französische Texte gelernt und gesungen. So akzentfrei wie Caleb jetzt die Worte der Maoris nachsprach, war ihr das allerdings nie gelungen.
Schließlich saßen die beiden mit dem Stamm in seinem mit prächtigen Schnitzereien geschmückten Versammlungshaus und ließen die mitgebrachte Whiskyflasche kreisen. Schon nach kurzer Zeit hatte Kura einen Schwips und wählte sich schließlich einen kräftigen jungen Tänzer aus, mit dem sie zur allseitigen Begeisterung nach draußen verschwand. Caleb wirkte wieder einmal peinlich berührt, aber nicht eifersüchtig. Kura registrierte das ein wenig verärgert, der Maori-Stamm eher überrascht.
»Ihr nicht ...?«
Kura sah gerade noch, wie der Mann neben Caleb eine obszöne Geste machte und Caleb rot anlief.
»Nein, wir sind nur ... Freunde«, stammelte er.
Der junge Mann machte daraufhin eine Bemerkung, die großes Gelächter auslöste.
»Er sagt, wir Maoris auch nicht machen mit Feinden!«, übersetzte eine Frau.
Am nächsten Tag erklärte Kura dem leicht indignierten Caleb in vollem Ernst, sie habe ihrem Begleiter nur ein spezielles Liebeslied entlocken wollen. Der junge Tänzer sang auf Verlangen auch gern eines vor, nachdem er sich vor Lachen ausgeschüttet hatte. Der Gedanke, einem Mann ein Liebeslied vorzutragen, erschien ihm wohl zu außergewöhnlich. Dann aber sang und tanzte er mit beinahe übertriebenen
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