Das Lied der Maori
wohlschmeckenden, aber immer gleichen Verpflegung: Süßkartoffeln mit Fisch folgte auf Fisch mit Süßkartoffeln. William sehnte sich nach einem ordentlichen Steak, ein paar Whiskys in Gesellschaft angetrunkener Engländer und möglichst einem richtigen Bett in einem abgeschlossenen Hotelzimmer. Am nächsten Tag würde er dann eine Demonstration im Pub oder im Gemeindehaus organisieren. Die Ortschaft Greymouth schien ihm groß genug, um über beides zu verfügen. Womöglich gab es auch ein Hotel, das seinen Namen verdiente und seine Zimmer nicht nur stundenweise abgab.
Es regnete, als er Greymouth erreichte, aber das Städtchen entpuppte sich tatsächlich als mittlere Ansiedlung und hatte anscheinend sogar noblere Viertel aufzuweisen. Jedenfalls schien ein Passant, den William nach einem Hotel fragte, zu schwanken.
»Soll es etwas Besseres sein, mit Portier und so? Oder eher ein Pub?«
William zuckte die Schultern. »Ordentlich, aber erschwinglich.«
Der Mann zuckte die Schultern.
»Dann käme am ehesten Madame Clarisse’ Hotel in Frage«, meinte er. »Aber ob Sie da die ganze Nacht unterkommen ...?«
Das Schild ›HOTEL‹ leuchtete William dann auch gleich entgegen, als er die angegebene Richtung einschlug, doch die bunte Bemalung und der angeschlossene Pub Lucky Horse versprachen nicht unbedingt Nachtruhe. Dafür bekam man vielleicht ein Steak ...
William hielt unschlüssig an; dann aber trieb der Gesang aus dem Pub ihn weiter. Die Leute, die hier
Auld Long Syne
zu mittelmäßigem Klavierspiel intonierten, waren eindeutig mehr als nur ein bisschen betrunken. Natürlich, es war Samstag – eigentlich ein guter Zeitpunkt. William konnte am kommenden Morgen gleich die Messe besuchen und mit dem Reverend wegen des Gemeinderaums reden.
Vorerst jedoch spornte er sein Pferd wieder an. Vielleicht gab es ja weitere Pubs, in denen es ruhiger war.
Ein paar Straßen weiter fand sich tatsächlich die nächste Kneipe, das Wild Rover. Auch hier drang Musik bis auf die Straße. Aber hier war es seltsam ... William hielt seinen Wagen an, band das Pferd fest und warf ihm eine Regendecke über. Dabei lauschte er auf die ungewöhnlichen Klänge aus dem Schankraum. Ein Klavier, virtuos gespielt, und dazu eine Flöte. Ein Maori-Instrument. Aber diese Musik war anders als die verhältnismäßig primitiven
haka
, von denen William in den Wochen zuvor so viele gehört hatte. Zwar erkannte er Parallelen, aber hier hatte jemand an Melodie und Ausdruck gefeilt. Die Zwiesprache zwischen den Instrumenten wirkte mal aufrüttelnd, mal rührend. William erkannte jetzt die
pecorino
, und der Flötenspieler entlockte ihr die weibliche Stimme. Hoch und fordernd, beinahe zornig, aber auch werbend, unzweifelhaft erotisch. Das Klavier antwortete dunkel – die Männerstimme in dieser Konversation. Die Instrumente schienen zu flirten, einander zu necken, bis sie sich zu einem gemeinsamen Schlusston verbanden, den die Flöte dann jäh abbrach, um zu schweigen, während der Pianist in meisterhaften Läufen in eine höhere Tonlage überwechselte. Dann antwortete wieder
pecorino
. Erneut ein Dialog, diesmal ein Streit. Lange Erklärungen, kurze, schroffe Antworten, Annähern und Entfernen – und schließlich ein Bruch. Ein klagendes, ersterbendes Klavier, während die Flöte innehielt, um dann plötzlich wieder einzusetzen.
William lauschte fasziniert. Die Geisterstimme. Er hatte immer wieder davon gehört, war bisher aber nie auf einen Stamm gestoßen, dessen Musiker dem Instrument die dritte Stimme abzuringen wussten. Und jetzt schwebten diese Töne aus einem heruntergekommenen Pub in Greymouth ... William trat neugierig näher. Die Geisterstimme schien tatsächlich nicht von der Flöte auszugehen, sondern aus den Tiefen des Raumes beschworen zu werden. Sie klang hohl, ätherisch. Man meinte, die Stimme einer mystischen Traumzeit zu hören, das Flüstern der Ahnen, das Anbranden der Wellen am alten Strand von Hawaiki ...
William betrat den Pub und ließ den Blick durch den verräucherten Schankraum schweifen. Soeben applaudierten die Gäste. Einige standen dabei auf; das seltsame Lied hatte sogar die ungeschlachten Männer ergriffen. Und dann sah William den blonden, blassen Pianisten, der eine steife Verbeugung andeutete, und das Mädchen, das der Stimme der Flöte nachzuhorchen schien.
»Kura!«
Kura sah auf. Ihre Augen wurden riesig, als sie William erblickte. Soweit er es im Funzellicht des Pubs erkennen konnte, schien sie zu
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