Das Lied der Maori
angewiesen. Dazu dieser völlige Entscheidungsmangel. Wir müssten neu aufbauen, Geld investieren, alles erneuern bis hin zur letzten Grubenlampe. Aber da kommt gar nichts. Ihr Vater ist der Ansicht, er müsse erst aus den Miesen rauskommen; dann könne er wieder über Investitionen nachdenken. Aber das ist der falsche Weg ...«
»Zumal, wenn er bis dahin noch mehr Geld in Whisky investiert.« Tim seufzte. Er wusste, dass er zu seinem Angestellten nicht so vertraut reden sollte, doch Matt musste die Alkoholfahne seines Chefs genauso riechen wie er selbst. »Wenn er mittags nach Hause kommt, ist er meist schon angetrunken. Nachmittags geht es dann weiter. Wie soll er da vernünftige Entscheidungen treffen?«
»Das einzig Richtige wäre, Ihnen so schnell wie möglich die Minenleitung zu übertragen«, meinte Matt. »Dann könnten wir uns vor Arbeitern kaum retten. Und ein Bankkredit wäre sicher auch kein Problem ...«
»Steht es so schlimm, dass wir einen Bankkredit brauchen?«, fragte Tim alarmiert. »Ich dachte, mein Vater hätte Rücklagen?«
»Soviel ich weiß, stecken die in einer Eisenbahnlinie, die zurzeit noch im Schlamm versinkt ...«, murmelte Matt. »Aber ich bin mir nicht sicher. So genau hat er mich nicht über seine Verhältnisse informiert.«
Tim prüfte die Angelegenheit daraufhin nach und war ziemlich erschrocken. Natürlich würden Lamberts Investitionen in den Gleisbau irgendwann Geld abwerfen. Eisenbahnbau war eine sichere Sache. Aber bis dahin waren sie ziemlich mittellos; eine Erneuerung der wichtigsten Minenbauten würde tatsächlich über Kredite finanziert werden müssen. Eigentlich auch kein Problem, schließlich gab es ausreichend Sicherheiten. Aber bekam Marvin Lambert von den Bankern von Greymouth noch Kredit?
Als er seinen Vater darauf ansprach, kam es wieder zu einem heftigen Streit. Tim war drauf und dran, gleich eine Überfahrt nach London zu buchen.
»Und dann nach Cardiff, Lainie! Wir sparen uns das ganze Theater mit Verlobung und sonst was und heiraten in Wales! Ich habe da Bekannte. Wir könnten selbst dann unterkommen, wenn uns die Silkhams ihr Schloss nicht öffneten! Und stell dir mal die Überraschung vor, wenn du deiner Grandma Gwyn eine Karte aus ihrer alten Heimat schickst.«
Elaine lachte nur, aber Tim war die Sache bitterernst. Es waren nämlich längst nicht nur die Mine und der Ärger über seinen Vater, die ihm den Schlaf raubten, sondern auch die Sorgen um Lainie. Inzwischen hatte sie ihm ausführlich von ihrer Familie erzählt, und ihm war himmelangst, wenn er nur daran dachte. Schafbarone aus Canterbury, ein Handelshaus und ein Hotel in Otago, Verbindungen zu den bekanntesten Familien der Südinsel ... und dazu noch die seltsame Geschichte mit ihrer Cousine Kura, die es ausgerechnet ebenfalls nach Greymouth hatte verschlagen müssen! Irgendwann würde jemand Elaine erkennen ... erst recht dann, wenn sie ihrer Mutter und Großmutter tatsächlich so verblüffend ähnlich sah, wie sie behauptete. Bei einer Barpianistin sah vielleicht niemand genau hin. Aber bei einer Mrs. Lambert Verbindungen zu den besten Familien des Landes anzunehmen war durchaus normal. Jemand würde die Ähnlichkeit bemerken und Elaine darauf ansprechen. Womöglich schon bei dieser unseligen Verlobungsfeier! Tim hätte sich lieber heute als morgen mit Lainie nach Cardiff abgesetzt. Er meinte, die Bombe ticken zu hören ...
»Noch immer nichts aus Westport?«
John Sideblossom hatte seinem Informanten keinen Whisky angeboten, trank selbst aber schon das zweite Glas während dieses Gesprächs. Der Mann war nicht dumm, aber anscheinend schien die Zeit an der Westküste stehen zu bleiben. Weder erwiesen sich Sideblossoms Investitionen in die Eisenbahnlinie als lohnend, noch hatte jemand von seiner flüchtigen Schwiegertochter gehört. Der große, inzwischen fast grauhaarige Mann schlug verärgert mit der Faust auf den Tisch.
»Verflucht, ich war mir so sicher, dass sie an der Westküste auftaucht! Dunedin ist zu nahe an Queenstown, in Christchurch ist sie bekannt wie ein bunter Hund, und die Gegend um Blenheim ... das Gebiet beobachte ich eigentlich ständig. Auch die Fähren zur Nordinsel lasse ich überwachen. Im Grunde kann sie nicht entwischt sein!«
»Jede Ecke auf der Insel überblicken Sie aber auch nicht«, meinte der Mann. Er war nicht mehr jung, aber ein typischer Coaster in abgetragenen Lederhosen und einem schmutzigen Wachsmantel, der ihn wohl schon auf Walfang, Seehundjagd
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