Das Lied der Maori
stählerne Ungetüm.
»Hund, komm!«, erklärte sie anschließend mit deutlich mehr Begeisterung und griff nach Callie. Elaine pfiff ihrer Hündin und bedeutete ihr, dem kleinen Mädchen Pfötchen zu geben. Doch Callie sah sich lieber anderweitig um, wobei vor allem Jacks eigener Hund ihr Interesse fand.
Elaine nahm Gloria auf den Arm. »Die ist ja niedlich!«, meinte sie. »Aber sie sieht Kura kein bisschen ähnlich.«
Das stimmte. Gloria ähnelte weder Kura noch William; ihr Haar war weder glänzend schwarz noch goldblond, sondern braun mit einem leichten Rotstich. Ihre Augen waren porzellanblau und standen ein wenig zu dicht beieinander, um ihrem Gesicht Ausdruck zu verleihen. Glorias Züge waren jetzt noch kindlich rund; später würden sie vielleicht ein wenig zu kantig werden, um schön zu sein.
»Gott sei Dank!«, bemerkte Jack. »Der Hund ist übrigens ziemlich schlampig ausgebildet, Lainie. Es geht nicht an, dass ein Kiward Collie über den ganzen Bahnsteig rennt und sich von wildfremden Leuten streicheln lässt. Das Tier braucht Schafe!«
»Wir sind ja ein paar Tage hier«, sagte Elaine und lächelte.
Kuras Konzert war ein Triumph. Sie hatte auch mit nichts anderem gerechnet. Eigentlich schwebte sie seit Blenheim von einem sensationellen Erfolg zum nächsten – wobei Kura und Marisa dies auf ihr Können als Musiker, William vor allem auf Kuras Ruf als Geisterbeschwörerin zurückführte. Er erging sich in jedem Interview in obskuren Andeutungen, und Kura befürchtete, dass er auch schon die Agentur in England mit entsprechenden Geschichten versorgt hatte. Sie sprach ihn allerdings nicht darauf an. Warum die Leute kamen, war ihr egal. Hauptsache, sie klatschten und bezahlten ihre Eintrittsgelder. Kura genoss es, wieder reich zu sein. Und dieses Mal war sie es aus eigener Kraft geworden.
Marama und ihr Stamm hatten es sich nicht nehmen lassen, Kuras Konzert nicht nur zu besuchen, sondern mit der Darbietung zweier eigener
haka
zu bereichern. Letzteres auf Williams ausdrücklichen Wunsch. Marama verstand es als Abbitte für den Affront bei seiner Hochzeit und sagte gern zu. Sie war ein friedfertiger Mensch und verzieh leicht. Und als sich jetzt ihre hohe, wie auf Wolken treibende Singstimme mit Kuras kräftigem, dunklem Organ mischte, hätte William sie am liebsten gleich für die ganze Tournee angeheuert.
Überhaupt wirkte der Saal des White Hart an diesem Tag deutlich exotischer als sonst. Tonga war mit seinem halben Stamm nach Christchurch gekommen, um der Erbin von Kiward Station zu huldigen und sie gleichzeitig wohl auf immer zu verabschieden. Dabei fielen die meisten Maoris kaum auf. Fast alle trugen westliche Kleidung, wenn sie die Sachen mitunter auch ziemlich ungeschickt kombinierten. Tonga erschien allerdings in traditioneller Kleidung, und seine Tätowierungen – er trug sie praktisch als Einziger seiner Generation – ließen ihn martialisch aussehen. Die meisten Leute hielten ihn zunächst für einen der Tänzer. Als er sich dann zum Publikum gesellte, rückten sie unruhig von ihm ab.
Tonga war auch der Einzige, der über Kuras Vortrag die Stirn runzelte. Er hätte die Lieder der Maoris lieber unverfälscht bewahrt, statt sie mit westlichen Instrumenten zu verfremden.
»Kura wird in England bleiben«, sagte er zu Rongo Rongo, der Zauberin seines Stammes. »Sie singt unsere Worte, aber unsere Sprache spricht sie nicht, das hat sie nie getan.«
Rongo Rongo zuckte die Schultern. »Sie hat auch nie die Sprache der
pakeha
gesprochen. Sie gehört zu keiner unserer Welten. Es ist gut, dass sie sich eine eigene Welt sucht.«
Tonga warf einen vielsagenden Blick auf die kleine Gloria. »Aber sie lässt den Wardens das Kind.«
»Sie lässt
uns
das Kind«, berichtigte Rongo. »Das Kind gehört zum Land der Nghai Tahu. Zu welchem Stamm es sich schließlich wenden wird ...«
Gloria saß mit Jack in der zweiten Reihe, und er brachte ihr damit ein gewaltiges Opfer. Aus eigenem Antrieb hätte der Junge sich nicht mal in die Nähe eines Konzertsaales gewagt, in dem Kura-maro-tini spielte.
»Ich kann gut verstehen, dass der Kerl in Blenheim durchgedreht ist«, sagte er zu seiner Mutter. »Womöglich lande ich hinterher auch in einer Anstalt!«
Gwyneira erklärte, dass sie diese Befürchtung nicht teile, aber weder Drohungen noch Versprechungen konnten ihn überzeugen. Dann bestand Kura jedoch auf die Anwesenheit ihrer Tochter, und Jack änderte seine Meinung sofort.
»Gloria schreit
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