Das Lied der Maori
Stephen O’Keefe – der einzige Vertreter der Familienmitglieder aus Queenstown – gehörte schließlich zu den engsten Verwandten der Braut. Fleurette und Ruben hatten ihn geschickt, um keinen weiteren Eklat hervorzurufen, indem sie die Hochzeit boykottierten. Fleurette hatte in einem Brief deutlich gemacht, dass sie Kura und William zwar alles Gute wünschten, Elaine aber auf keinen Fall eine Teilnahme an der Feier zumuten wollte: »Sie ist nach wie vor ein Schatten ihrer selbst, obwohl sie langsam darüber hinwegzukommen scheint, dass Mr. Martyn sie abgelehnt hat. Leider sucht sie die Schuld daran ausschließlich bei sich selbst. Statt rechtschaffen wütend zu sein, zerfleischt sie sich in Überlegungen darüber, was sie falsch gemacht hat und wie sehr sie ihrer Cousine gegenüber abfiel. Auf keinen Fall können wir von ihr erwarten, dass sie Kura auch noch als strahlende Braut erlebt.«
Stephen dagegen hatte Weihnachtsferien und ritt ganz bereitwillig nach Kiward Station. Er hatte zwar aus den Briefen seiner Mutter von den Ereignissen um Kura und Elaine gehört, die Sache aber nicht allzu ernst genommen. Bei seinem nächsten Besuch in Queenstown war er dann geradezu erschrocken darüber, wie verstört und gebrochen seine Schwester immer noch wirkte. Die Gelegenheit, die beiden Urheber dieser tragischen Veränderung kennen zu lernen, ließ er sich jetzt nicht entgehen.
»Wenn Sie gestatten ...« Stephen verbeugte sich lächelnd vor Jenny Greenwood und nahm ihren Platz an dem prächtigen Flügel ein, der als Orgelersatz diente. Gleichzeitig war er das Hochzeitsgeschenk Gwyneiras an ihre Enkeltochter, auch wenn James murrte: »Wir werden dafür den halben Salon ausräumen müssen!«
»Kannst du denn spielen?«, wunderte sich Gwyneira, die ihren Platz inzwischen verlassen hatte, um der Verzögerung auf den Grund zu gehen.
Stephen lächelte. »Ich bin Helen O’Keefes Enkel und neben ihrer Kirchenorgel aufgewachsen. Und den lächerlichen Hochzeitsmarsch würde selbst Georgie zustande bringen.«
Ohne weitere Verzögerung schlug er denn auch die ersten Töne an und spielte das Stück locker, fast ein wenig zu schmissig herunter, während das Brautpaar vor den improvisierten Altar trat. Da Stephen das für den späteren Auszug vorgesehene Lied nicht kannte, legte er stattdessen eine ebenso schwungvolle Version von
Amazing Grace
hin, was ihm einen amüsierten Blick von James McKenzie und einen strafenden Blick Gwyneiras einbrachte. Schließlich war der Text –
Welch süßer Klang, der ein armes Geschöpf wie mich errettet
– nicht eben schmeichelhaft, bezogen auf eine junge Braut.
Immerhin traf Stephen jeden Ton. Unsicherheit war ihm fremd. Jennifer lächelte ihm hinter ihrem Haarvorhang dankbar zu.
»Dafür kriege ich nachher den ersten Tanz, ja?«, raunte Stephen ihr zu, woraufhin Jennifer wieder errötete, diesmal jedoch vor Freude.
Inzwischen hatte sich auch eine Gruppe von Maori-Musikanten vor dem Pavillon eingefunden. Marama, Kuras Mutter, gesellte sich zu ihnen und sang ein paar traditionelle Lieder. Dabei wurde jedem sofort klar, von wem das Mädchen seine schöne Stimme geerbt hatte: Marama war bei ihrem Volk als Sängerin bekannt; allerdings war ihre Stimme höher als Kuras und besaß ein fast ätherisches Timbre. Falls die guten Geister, die Marama mit ihren Liedern beschwor, sie hören konnten, vermochten sie ihr nicht zu widerstehen, da war Gwyneira sicher. Auch die Gäste lauschten hingerissen.
Nur William schien die Darbietung seiner Schwiegermutter als eher unpassend zu empfinden, obwohl Marama westliche Festkleidung trug und auch keiner der anderen Musiker durch besonders extreme Gewandung oder auch nur Tätowierungen auffiel. Der Bräutigam zog es jedenfalls vor, die Eingeborenen geflissentlich zu ignorieren, und schien froh zu sein, als ihre Musik verklang. Das Defilee der Gratulanten behagte ihm weitaus besser, obwohl er es ein wenig befremdlich fand, dass zumindest die Schafbarone der Gegend Gwyneira mindestens ebenso herzlich beglückwünschten wie den Jungvermählten.
»Unglaublich, wie Sie das geschafft haben!«, sagte Lord Barrington und drückte ihr die Hand. »Der Knabe entspricht Ihren Wunschträumen für Kiward Station, als hätten Sie ihn selbst gebacken!«
Gwyneira lachte. »So ist es nun doch nicht, es ergab sich halt so«, meinte sie bescheiden.
»Sie haben wirklich nicht daran gedreht? Der kleinen Kura einen Liebestrank eingeflößt oder so etwas?«,
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