Das Lied der Maori
die Schwelle getragen werden. William hob sie gehorsam hoch.
»Auch noch die Treppe hinauf?«, fragte er.
»Ja, bitte!«, rief Kura lachend.
Feierlich stieg William mit ihr die offene, geschwungene Treppe hinauf, die vom Salon in den ersten Stock führte. Dort lagen die Wohnräume der Familie, und William war sehr zufrieden bezüglich der Einigung, die man hier über die künftigen Ehegemächer der jungen Martyns erzielt hatte. Kura wollte zunächst einfach in ihren Räumen bleiben. Sie besaß ein geräumiges Schlafzimmer, ein Ankleidezimmer und ein »Arbeitszimmer«, in dem Miss Witherspoon sie unterrichtet hatte. Es waren die früheren Wohnräume von Lucas Warden, Gwyneiras erstem Mann. Hätte man dem noch einen Raum für William hinzugefügt, hätte das durchaus gereicht, doch William hatte sich quergestellt.
»Du bist die Erbin, Kura, das alles hier gehört dir. Aber du lässt dich mit Zimmern abspeisen, die nach hinten herausgehen ...«
»Ist mir doch egal, ob die Zimmer nach hinten herausgehen oder nach vorn«, meinte Kura gelassen. »Man sieht sowieso nur Gras.«
Die letzte Bemerkung war der Beweis, dass sie offenbar nie aus dem Fenster schaute. Von Kuras Räumen aus sah man die Ställe und einige Koppeln, Gwyneiras Fenster wiesen zum Park, doch William spekulierte auf eine Wohnung mit Aussicht über die Auffahrt und die Allee.
»Das waren die Räume, die für den Besitzer des Ganzen gestaltet wurden. Und die solltest du haben. Du könntest sogar dein Klavier dort aufstellen.« Die Zimmerflucht, von der William sprach, stand seit sechzehn Jahren leer. Gerald Warden hatte sie bewohnt, und Gwyneira hatte die Einrichtung niemals angerührt. James hatte erst recht kein Interesse daran. Ihm genügte Gwyneiras Schlafzimmer; ein eigenes hatte er nie verlangt. Jack wohnte in Fleurettes einstigem Kinderzimmer.
Gwyneira war verwundert und hatte ein ungutes Gefühl, als Kura schließlich den Umzug forderte.
»Wollt ihr denn zwischen den alten Möbeln leben?«, fragte sie. Ihr jagte allein die Vorstellung, inmitten von Geralds Einrichtung zu hausen oder auch nur in einem Raum zu schlafen, in dem er gelebt hatte, Schauer über den Rücken.
»Kura kann sich ja neu einrichten«, erklärte William, als Kura nichts dazu sagte. Ihre Wohnungseinrichtung war ihr offensichtlich egal, sofern nur alles kostbar war und der neueren Mode entsprach. Anscheinend fürchtete sie Miss Witherspoons Kritik – und beugte deren möglichen Einwänden gleich vor, indem sie ihr die Neugestaltung der Räume praktisch allein überließ. Heather ging denn auch ganz darin auf, nach Herzenslust Kataloge zu wälzen und ohne jeden Gedanken an Geld die schönsten Stücke auszuwählen. William unterstützte sie dabei bereitwillig, und so verbrachten die beiden ganze Nachmittage mit der Diskussion über einheimisches oder importiertes Holz, eine Frage, die sie schließlich dahingehend entschieden, gleich die gesamte Einrichtung aus England kommen zu lassen. Gwyneira mahnte die Kosten nicht an – Kiward Station schien im Geld zu schwimmen.
Die frisch tapezierten und neu möblierten Zimmer waren jetzt ganz nach Williams Geschmack, Kura hatte mit gleichgültigem Gesicht zugestimmt.
»Sooo lange werden wir hier ja sowieso nicht wohnen«, meinte sie gelassen, was Miss Witherspoon fast einen Herzanfall erleiden ließ. Auch für die Gouvernante stand fest, dass Kura ihre hochfliegenden Pläne mit der Hochzeit aufgab.
»Lassen Sie meine Verlobte ruhig träumen, sie ist noch so jung«, meinte William scheinbar duldsam. »Wenn sie erst mal ein Kind hat ...«
Miss Heather lächelte. »Ja, das stimmt, Mr. William. Aber eigentlich ist es wirklich eine Verschwendung. Kura hat eine so wunderschöne Stimme ...«
William gab ihr Recht. Kura würde ihre Kinder mit der schönsten Stimme der Welt in den Schlaf singen.
Jetzt jedenfalls trug er seine etwas alberne junge Frau über die Schwelle ihres gemeinsamen Schlafzimmers. Natürlich gab es obendrein private Räume für ihn und für sie. Das Zimmer war in warmen, frischen Farben gehalten, die Bettvorhänge und Gardinen jedoch aus schwerer Seide. William sah, dass jemand das Bett frisch bezogen hatte – und auch Kuras Zofe stand bereit, ihr beim Auskleiden zu helfen.
»Nein, lass mal«, beschied William das Maori-Mädchen schwer atmend vor Erregung, denn Kura im Arm zu halten hatte seine Leidenschaft weiter entfacht.
Das Mädchen entfernte sich kichernd. William ließ seine Frau aufs Bett sinken.
»Willst
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