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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Stellen aufplatzte, wo die Striemen sich kreuzten. Er wünschte, er hätte einen Knebel gehabt, irgendetwas, auf das er beißen konnte, um die Qual ein wenig erträglicher zu machen.  
    Moira. Sie …  
    Der nächste Schlag. Flüssiges Feuer.  
    Sie sollte ihn nicht so sehen müssen. Nicht so hilflos.  
    Durch den Schleier aus vernichtenden Schmerzen hörte er, wie zum stetigen Schlag der Trommel langsam jeder Schlag gezählt wurde.  
    »Achtundzwanzig!«  
    Das Blut lief heiß über seinen Rücken.  
    »Neunundzwanzig!«  
    »Dreißig!«  
    Wieder und wieder klatschten die neun Riemen auf sein Fleisch. Er konnte fühlen, wie die Knoten seine Haut aufrissen, und hielt die Luft an.  
    Er würde keinen Laut von sich geben. Keinen Laut.  
    »Sechsundfünfzig!«  
    Keinen.  
    »Siebenundfünfzig!«  
    Laut.  
    »Achtundfünfzig.«  
    Mit einem heiseren Keuchen entwich die Luft aus seinen Lungen.  
    »Neunundfünfzig!«  
    Er biss die Zähne erneut zusammen, ballte die Fäuste in den Stricken und griff in Gedanken hinaus nach einem Anker, an dem er sich festhalten konnte. Moiras geliebtes Gesicht vor seinen geschlossenen Augen. Ihr übermütiges Lächeln. Es veränderte sich, verschwamm, zerfloss. Bildete sich neu, formte ein Antlitz, das er früher bei Vater Mahoney oft gesehen hatte. Der Kopf einer schönen jungen Frau mit einem Kind auf dem Arm. Ein blauer Umhang umgab die zarte Gestalt. Maria mit dem Jesuskind.  
    Ein Schlag, und noch einer, und noch einer. Das Blut rauschte in seinen Ohren, und ohne die Fesseln, die ihn fest an den Baumstamm pressten, wäre er sicher zusammengesackt. Jemand sagte etwas, aber er hatte Mühe, es zu verstehen. Dann kehrte sein Geist in die Wirklichkeit zurück.  
    »Fünfundsiebzig!«  
    Die Schläge hörten auf, der Trommler verstummte. Jemand – der Doktor? – kam zu ihm und legte einen Finger hinter sein Ohr, dort, wo er seinen eigenen Pulsschlag pochen spürte. Seine Kehle war völlig ausgetrocknet, er schmeckte Blut.  
    »Wasser«, murmelte er.  
    »Er bekommt kein Wasser!«, hörte er eine herrische Stimme. »McIntyre, tretet zurück. Der Bastard kann noch eine ganze Menge vertragen!«  
    »Einen Augenblick, Major.«  
    Etwas wurde ihm zwischen die Zähne geschoben. Ein Taschentuch. Es roch schwach nach Parfüm. »Beiß drauf, das macht es leichter.«  
    War das der Doktor? Er war zu erschöpft, um sich darüber zu wundern.  
    »Nichts da, McIntyre!« Die Stimme des Majors. »Nehmt das verdammte Tuch wieder weg! Ich will ihn endlich winseln hören!«  
    »Ich muss aus medizinischer Sicht darauf bestehen!«, gab der Doktor zurück. »Es ist niemandem geholfen, wenn er sich die Zunge abbeißt.«  
    Duncan kaute auf dem Tuch herum und spannte seinen Körper gegen das, was noch kommen würde. Er würde stark sein, er würde standhalten, er würde – o gütiger Herrgott, hilf! Der nächste Hieb fuhr auf sein gemartertes Fleisch nieder. Und wieder. Und wieder. Sein Rücken kochte, fühlte sich an, als ob er mit einem rotglühenden Eisen versengt würde.  
    »Sechsundneunzig!«  
    »Siebenundneunzig!«  
    Alles schien sich um ihn zu drehen, ihm war übel. Das gemächliche Dröhnen des Trommlers und das Ausrufen der Schläge mischten sich zu einem wabernden Geräuschebrei. Allmählich verlor er jedes Gefühl für Zeit und Wirklichkeit. Wie in einem Traum stiegen Bilder in ihm auf, Bilder, die er annahm, ohne sie zu verstehen.  
    Ein Schlag. Ein Mann stürzt zu Boden.  
    Eine Geißel fährt auf einen entblößten Rücken nieder. Wieder. Und wieder. Blut tropft in den Sand.  
    Ein Mann in einem Purpurmantel. Der Körper darin geschunden, von Striemen bedeckt.  
    Ein männliches, bärtiges Gesicht, mit Augen von strahlender Güte. In seinem Haar ein dorniger Kranz. »Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt.«  
    Der Mann fällt in den Staub, ein schwerer Balken drückt ihn nieder. Ein anderer hilft ihm auf.  
    Ein langer Nagel, aufrecht in einer Handfläche. Ein Hammerschlag. Die Finger krümmen sich vor Schmerz. »Lamm, das hinwegnimmt die Sünde der Welt.«  
    Eine Frau weint. Stumm, beinah lautlos. Tränen netzen ihr Gesicht. »Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.«  
    *  
    Ann weinte, ihre reizlosen Züge waren tränenüberströmt. Moira dagegen stand stumm daneben, mit kalkweißem Gesicht und riesigen Augen, und starrte auf das blutige Geschehen.

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