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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Sie war unnatürlich ruhig, fast schon starr. Keine Träne war zu sehen.  
    Alistair hatte darauf bestanden, dass sie anwesend war. Sie sollte sehen, wie es dem Mann erging, der es gewagt hatte, ihm seine Frau abspenstig zu machen. Und als hätte sie gemerkt, dass er sie ansah, wandte sie den Kopf und erwiderte seinen Blick. Hass und Verachtung spiegelten sich in ihren Augen.  
    Ein sirrendes Geräusch, als die Peitsche zurückschwang, der Schlag der Trommel, dann das schwere Klatschen der neun Riemen.  
    »Hundertzwölf!«  
    Er hatte geglaubt, er würde Genugtuung verspüren, wenn man den Gefangenen bestrafte, der ihn gleich in doppelter Hinsicht betrogen hatte – schließlich hatte er jetzt auch keinen Gehilfen mehr. Er hatte gedacht, nichts mehr für O’Sullivan zu empfinden, jeden Funken Zuneigung gelöscht, aus sich herausgerissen zu haben, wie man ein Unkraut mitsamt der Wurzel entfernt. Aber so einfach war es nicht.  
    Ein Haufen widerstreitender Gefühle kämpfte in ihm. Bis auf den Tag, als O’Sullivan Moira gegen Oberaufseher Holligan beigestanden hatte, hatte Alistair den jungen Sträfling noch nie ohne Hemd gesehen. Und so hatte sich anfangs zu Hass und verletzter Ehre auch wieder schändliches Begehren gemischt, hatte der Anblick des geschmeidigen, bronzefarbenen Oberkörpers seine Fingerspitzen kribbeln lassen, als würden Ameisen darüber laufen, und einen Schauer der Erregung durch seine Lenden gejagt.  
    Inzwischen aber war aus der Lust Qual geworden. O’Sullivan in aller Öffentlichkeit gedemütigt und gefoltert zu sehen war fast mehr, als er ertragen konnte. Es half nichts, dass er sich ins Gedächtnis rief, was der Sträfling ihm angetan hatte. Bei jedem einzelnen Schlag zuckte Alistair innerlich zusammen, und er musste sich zwingen hinzusehen. Jeder neue Hieb ließ den schönen Körper erbeben, presste ein ersticktes Keuchen in das Tuch. Sein Tuch. Immer wieder hieb die Katze ihre neun Krallen ins Fleisch, schlugen die knotigen Riemen neue Wunden, rissen Fetzen aus der Haut.  
    »Hundertfünfzig!«  
    Die Trommel verstummte erneut zur vorgeschriebenen Pause. Blut tropfte auf den Boden, als die Schergen ihre Peitschen schüttelten, um sie zu entwirren. Dass es sich dabei um O’Sullivans Blut handelte, ließ ein beklemmendes Gefühl in Alistair aufsteigen. Auch der breite Baumstamm war blutbespritzt, genau wie der Boden darunter. O’Sullivan hatte die Augen geschlossen und die Zähne im Tuch vergraben, sein Puls war schwächer und schneller als vorhin. Alistairs Gedanken überschlugen sich. Konnte er, sollte er jetzt schon abbrechen? Es lag in seiner Hand. Der anwesende Arzt musste sicherstellen, dass der Verurteilte die Schläge bei vollem Bewusstsein erlitt – und natürlich auch Sorge tragen, dass niemand während der Bestrafung starb. Dennoch zögerte er. Herzschlag und Atmung waren noch kräftig. Bei einem vorzeitigen Abbruch würden die ausstehenden Schläge nachgeholt werden. Je mehr O’Sullivan jetzt ertrug, umso weniger würde er zu einem späteren Zeitpunkt erleiden müssen.  
    Stumm nickte Alistair den Schergen zu. Der freudlose Dreiklang setzte wieder ein.  
    Trommel, Schlag, Zahl.  
    Trommel, Schlag, Zahl.  
    Rufe und Gemurmel bei den Zuschauern ließen ihn den Kopf wenden. Eine kleine Gruppe hatte sich um jemanden geschart: Moira. Man half ihr eben wieder auf die Beine. War sie zusammengebrochen? Ann warf ihm einen tränenvollen Blick zu. Aber er konnte nicht weg, er durfte sich seiner Pflicht nicht entziehen, er musste bei O’Sullivan bleiben … Außerdem kümmerte man sich ja bereits um seine Frau. Fahrig gab er Ann ein Zeichen, das ihr erlaubte, sich mit Moira zu entfernen, dann wandte er sich wieder seiner Aufgabe zu.  
    Von O’Sullivan kam kein Laut mehr. Sein Körper, der sich bislang bei jedem neuen Schlag angespannt hatte, verlor zusehends an Kraft. Nur die Stricke hielten ihn aufrecht. Er rührte sich kaum noch.  
    Alistair würde dieser widerlichen Veranstaltung jetzt ein Ende bereiten. Mit einem Ausruf gebot er den Schergen Einhalt. Seine Beine zitterten, als habe man auch ihn ausgepeitscht, und es dauerte, bis er O’Sullivans schwachen, jagenden Puls gefunden hatte. Als er eines der Augenlider hob, war die Pupille weit geöffnet, der Blick ins Leere gerichtet. Und obwohl O’Sullivan wirkte, als wäre er kaum bei Bewusstsein, biss er so fest auf das Tuch, dass Alistair Mühe hatte, es aus den verkrampften Kiefern herauszubekommen. Er steckte

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