Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
Vom Netzwerk:
nichts.« Sie nahm die Bibel in die Hand, um ihre Befangenheit zu überspielen. Der weiche Einband fühlte sich warm unter ihren Fingern an.  
    »Ich wollte mich bei Euch bedanken. Für … Ihr wisst schon. Die Sache mit Holligan. Ihr habt Euch meinetwegen in Gefahr begeben. Ihr habt viel riskiert. Dafür … dafür wollte ich Euch von Herzen danken, Mr O’Sullivan.«  
    » Mister O’Sullivan?« Auf seinem Gesicht zeigte sich ein winziges Lächeln. »So hat mich schon lange niemand mehr genannt.« Er neigte den Kopf. »Es war mir eine Ehre, Mrs McIntyre.«  
    Mrs McIntyre. Nicht Ma’am .  
    »Nur eines verstehe ich nicht«, fuhr Moira hastig fort. »Wieso? Wieso habt Ihr mir geholfen? Und woher wusstet Ihr, was Holligan vorhatte?«  
    Er hob die Schultern, das Lächeln war verschwunden. »Ich wusste es nicht. Nicht wirklich. Es war eher ein … Gespür. Etwas, das mir sagte, ich müsse Euch beschützen.«  
    Moira sah ihn verblüfft an. Wenn jemand anderes das zu ihr gesagt hätte, hätte sie wahrscheinlich laut aufgelacht. Aber aus seinem Mund klang das ganz natürlich. So, als wäre er tatsächlich dafür bestimmt gewesen, ihr beizustehen.  
    »Und das habt Ihr getan.« Sie streckte die Hand aus. »Vielen Dank. Ich stehe in Eurer Schuld.«  
    Er sah sie an und ergriff ihre Finger. Seine Hand war warm und rau, der Druck fest. Dann ließ er sie wieder los. Ihre Finger kribbelten.  
    Mit einem kleinen Lächeln wies sie in den Raum. »Na ja, immerhin sollte diese Umgebung jetzt mehr nach Eurem Geschmack sein.« Ihre Beine fühlten sich etwas wackelig an. Rasch setzte sie sich auf die einfache Holzbank. »Es ist ziemlich warm heute.«  
    In seinen Augen glaubte sie ein amüsiertes Funkeln zu sehen. Dann war es wieder fort.  
    »Bitte«, sie wies auf die Bank ihr gegenüber. »Setzt Euch. Und erzählt mir etwas von Euch.«  
    Er nahm Platz, so langsam, als wäre das Holz plötzlich lebendig geworden. »Was wollt Ihr wissen?«  
    »Woher kommt Ihr? Wo seid Ihr zur Schule gegangen?«  
    Er schüttelte den Kopf. »Keine Schule.«  
    »Wer hat Euch dann lesen gelehrt?«  
    »Vater Mahoney aus Dunmore. Er hat mich aufgezogen, seit ich zwölf Jahre alt war.«  
    »Was ist aus ihm geworden?«  
    »Er ist tot.«  
    »Und er hat Euch aufgezogen? Dann habt Ihr keine Verwandten? Was ist mit Euren Eltern?«  
    »Meine Mutter starb früh. Mein Vater wurde … getötet, als ich ein Kind war. Und Grainne O’Sullivan, die einzige Cousine, von der ich weiß, ist bei der Schlacht von Vinegar Hill gefallen.«  
    Vinegar Hill. Die Schlacht am Essighügel, bei der Tausende von Rebellen unter der Übermacht der englischen Soldaten ihr Leben ließen.  
    »Dann habt Ihr also niemanden, der auf Euch wartet?«  
    Er zögerte kurz. »Nein«, sagte er dann. »Niemanden.«  
    »Wie traurig. Wart Ihr auch auf Vinegar Hill?«  
    Er schüttelte den Kopf.  
    »Aber Ihr seid als Rebell verurteilt. Was habt Ihr angestellt?«  
    »Nicht mehr und nicht weniger als viele andere. Ich habe Pikenspitzen hergestellt. Aus eingeschmolzenem Ackergerät. Man hat sie im Strohdach meiner Hütte entdeckt.«  
    »Deshalb hat man Euch deportiert? Wegen ein paar Pikenspitzen?!« Moira konnte es nicht fassen.  
    »Was hattet Ihr denn gedacht, weshalb ich hier bin?«  
    »Nun, vielleicht …« Sie kam ins Stocken und ärgerte sich darüber. »Ich dachte, Ihr hättet zumindest einen Rotrock verprügelt.« Ihr Blick fiel auf die Bibel, die noch immer auf dem Tisch lag. Sie deutete darauf. »Was habt Ihr gelesen?«  
    »Etwas aus dem Neuen Testament. Aus den Briefen des Paulus.«  
    »Wieso gerade diese Stelle?«  
    »Weil ich sie beim Bibelstechen getroffen habe.«  
    »Ihr stecht nach der Bibel? Mit einem Messer?« Ein kleines Lachen bildete sich in ihrer Kehle. Sie schluckte es hinunter – nicht, dass er dachte, sie würde ihn verspotten. Auch in seinen Augen sah sie ein Lächeln. Sie waren tatsächlich dunkelgrün. Wie Moos nach dem Regen.  
    »Mit dem Finger. Vater Mahoney hat es mir gezeigt. Man nimmt die Bibel, schlägt sie an einer beliebigen Seite auf und deutet blindlings auf eine Zeile.« Das winzige Lächeln wurde breiter. »Es klappt sogar mit einer protestantischen Bibel.«  
    Moira sah ihn herausfordernd an. »Zeigt es mir!«  
    Er streckte die Hand aus, und sie reichte ihm die Bibel. Ohne den Blick von Moira zu nehmen, schlug er das Buch mit beiden Händen auf, hielt es mit der Linken geöffnet und fuhr mit dem

Weitere Kostenlose Bücher