Das Lied der roten Erde (German Edition)
nicht tue?« Sie ließ ihm keine Zeit für eine Antwort. »Meine Eltern haben gesündigt, als sie mich gegen meinen Willen verheiratet haben.«
»Gegen deinen Willen? Wieso haben sie das getan?«
»Um mich loszuwerden, natürlich. Damit ich ihnen nicht noch mehr Schande mache. Ich hasse sie!«
»So etwas solltest du nicht sagen. Ich wäre froh, wenn ich meine Eltern noch hätte.«
Sofort wurde Moira wieder ruhiger. »Dein Vater ist tot, nicht wahr?«
»Er war ein Pferdedieb. Sie haben ihn aufgehängt.«
»Oh, das … tut mir leid«, murmelte Moira betroffen. »Wie alt warst du?«
»Zwölf«, gab er leise zurück. »Manchmal habe ich mir vorgestellt, dass das alles nicht passiert ist. Dass er eines Tages zurückkommt und mich holt. Aber das ist nie geschehen.«
»Und dann hat dich dieser Pfarrer, Vater Mahoney, aufgenommen?«
Duncan schüttelte den Kopf. »Zuerst habe ich für einige Monate auf der Straße gelebt. Habe unter Büschen geschlafen und vor Hunger Wachskerzen gegessen. Irgendwann steckte man mich in ein Waisenhaus, wo ich den ganzen Tag arbeiten musste und wo es nur Schläge und Schreie gab. Ich bin weggelaufen, aber sie haben mich wieder eingefangen. Und dann kam Vater Mahoney.«
»Er scheint ein guter Mensch gewesen zu sein.«
»Das war er. Er hat mir viel beigebracht. Und mich gelehrt, die Menschen so zu nehmen, wie sie sind. Keinen Hass zu empfinden.«
Sie richtete sich etwas auf und sah ihm ins Gesicht. »Sag bloß, du hasst niemanden?«
Duncan schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich dir nicht«, gab Moira zurück. »Wieso hast du dann Piken hergestellt?«
»Wieso nicht? Man kann doch die Ungerechtigkeit bekämpfen, ohne jemanden hassen zu müssen. Sogar Jesus hat sich gegen die Händler im Tempel aufgelehnt.«
Moira nickte, offenbar nicht sonderlich überzeugt. »Trotzdem. Was ist mit den Männern, die dich festgenommen haben? Oder die deinen Vater hingerichtet haben? Die Aufseher hier?«
»Sie haben bloß ihre Pflicht getan.«
»Du hast wirklich seltsame Ansichten. Du hättest Priester werden sollen.«
Er lächelte. »Vater Mahoney hat tatsächlich gehofft, dass ich in seine Fußstapfen trete. Aber das wäre nicht das Richtige für mich gewesen.«
»Wieso nicht?« Sie grinste. »Vater O’Sullivan. Das hört sich doch sehr ehrwürdig an.«
Er lächelte ebenfalls. »Vater O’Sullivan hätte es aber sicher an Demut gefehlt. Und an Gehorsam.«
»Und an Frauen«, setzte Moira schlagfertig nach. »Müssen sich eure Priester nicht zur Enthaltsamkeit verpflichten?«
»So ist es. Woher weißt du so viel über uns Katholiken?«
»Von einem Freund meines Vaters«, erwiderte sie. »Mr Curran. Er ist Anwalt und vertritt viele Katholiken.« Sie stöhnte wohlig auf, als Duncan mit einer Hand durch ihre Haare fuhr und begann, ihre Kopfhaut zu massieren.
Ihm war ganz leicht zumute, so gut tat es, mit ihr zu reden. Er hatte lange nicht mehr so viel von sich preisgegeben. Es hatte sich ja auch schon lange niemand mehr für ihn interessiert.
»Du hast magische Hände, weißt du das?«, seufzte Moira. »Dir lagen die Mädchen sicher reihenweise zu Füßen.«
»Das nicht gerade. Mit einem Tinker-Waisenjungen wollte kaum jemand zu tun haben.«
Er hielt die Luft an, als er das Wort aussprach, stand das fahrende Volk doch am Rand der Gesellschaft, geächtet von den anständigen Leuten. Aber zu seinem Erstaunen nickte sie nur.
»Deswegen also bist du so geschickt mit den Pferden.« Sie nahm seine rechte, nicht allzu saubere Hand in ihre und fuhr die Linien auf seiner Handfläche nach.
»Aber …« Moira fiel es sichtlich schwer, ihm diese Frage zu stellen. »Also hast du kein … Mädchen … zu Hause?«
Er seufzte. »Doch. Ich hatte. Wir wollten heiraten.«
»Was ist passiert?«
»Sie hat einen anderen gefunden«, sagte er knapp.
Nelly hatte ihn nie im Gefängnis besucht. Kein einziges Mal in den vier Wochen, während er auf seinen Prozess gewartet hatte. Als sei er mit seiner Verhaftung ein Aussätziger geworden. Erst nach seiner Verurteilung hatte sie ein paar dürre Zeilen geschickt, in denen sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie sich nicht in der Lage sehe, noch länger auf ihn zu warten. Und dass sie gedenke, sich demnächst erneut zu verloben. Er hatte den Brief mehrmals gelesen und dann in winzig kleine Fetzen zerrissen.
Der einsetzende Regen, der mit plötzlicher Gewalt auf
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