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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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das Dach prasselte, riss ihn zurück in die Gegenwart. Es hörte sich an, als werfe jemand kleine Steine darauf.  
    Er zog Moira einen Strohhalm aus dem Haar. »Du solltest jetzt gehen.«  
    Diesmal sah sie es ein. Er fing sie auf, als sie die letzten Stufen der Leiter hinuntersprang, und hielt sie fest, umschloss sie ein letztes Mal.  
    »Ich komme wieder«, murmelte sie an seinem Ohr.  
    Er sah ihr nach, wie sie ihre Kleider ordnete, ein paar Strohhalme wegwischte und schließlich aus dem Kutschenhaus trat, so unbekümmert, als hätte sie nur kurz nach dem Rechten gesehen. Einen Augenblick blieb sie im Regen stehen, richtete ihr Gesicht mit geschlossenen Augen nach oben und lächelte. Er wartete, bis sie aus seinem Sichtfeld verschwunden war. Dann holte er den Hammer aus dem Stroh, ging zurück zu dem kleinen Tisch und machte sich erneut ans Werk.  
    Das hier würde Teil seiner Buße werden.  
    *  
    Ningali verharrte reglos im Schatten des großen Hauses, während der Regen ihre Decke aus Kängurufell benetzte. So nah hatte sie sich lange nicht mehr an die Häuser der Weißen herangewagt. Nicht mehr, seit der Mann, den die Weißen Major nannten, auf sie geschossen hatte. Kurz berührte sie die fast verheilte Wunde an ihrem Arm. Es tat nicht mehr weh, aber sie konnte die wulstige Narbe spüren.  
    Sie ließ ihren Blick über den schlammigen Platz schweifen, hinüber zu dem langgestreckten Gebäude, in dem die Weißen nachts ihre Pferde stehen hatten. Er war auch oft dort. Zu ihrer Freude trat eben Mo-Ra hinaus. Wie verändert sie wirkte! Als ginge eine Art inneres Leuchten von ihr aus.  
    Und noch jemand hatte Mo-Ra gesehen; das junge Mädchen, das bei ihr arbeitete. A-Nh hieß sie. Ningali sah, wie sich ihr Gesicht verzog. War sie etwa böse auf Mo-Ra?  
    A-Nh zog sich zurück, bevor Mo-Ra sie bemerken konnte. Als auch Mo-Ra in ihrem Haus verschwunden war, ging Ningali zurück in den Busch. Sie ging viele Schritte, bis sie die Häuser weit hinter sich gelassen hatte. Der Dingo folgte ihr durch das Dickicht. Erst als sie sicher war, dass niemand sie sehen oder hören würde, ließ sie sich an einer Stelle nieder, wo die Bäume einen natürlichen Regenschutz boten, und löste den aus Gräsern geflochtenen Beutel von ihrem Hüftband. Sie befreite ein Stück Erde von Blättern und schob den Dingo fort, der mit seiner feuchten Nase darin schnüffeln wollte. Dann leerte sie den Inhalt des Beutels auf die freigeräumte Fläche.  
    Ein blankpolierter kleiner Känguruknochen kam zum Vorschein, daneben ein paar Emufedern und einige Tabakblätter. Und ein golden glänzendes, mit Schnitzereien verziertes Behältnis, so groß wie eine Buschfeige. Es gehörte Major. Er hatte es verloren, als er fern von hier zuckend am Boden gelegen hatte.  
    Ningali hatte einmal beobachtet, wie die Männer der Weißen in solche Behältnisse hineingriffen, um sich ein dunkles Pulver in die Nase zu stecken. Manchmal mussten sie danach niesen.  
    Ob gelingen würde, was sie vorhatte? Normalerweise musste die betreffende Person anwesend sein. Aber vielleicht würde es auch funktionieren, wenn sie nur etwas hatte, was der Person gehörte.  
    Auch wenn sie nur wenig von der Sprache der Weißen verstand, so hatte sie doch begriffen, was die dicke Frau in jener Nacht behauptet hatte: Ningali habe Major verhext. Doch das hatte sie nicht.  
    Noch nicht.  
    Sie legte den Knochen so vor das glänzende Behältnis, dass er darauf zeigte, und stieß probeweise einen Summton aus. Sie benutzte ihre Stimme nur selten, aber diesmal brauchte sie sie. Dann kniete sie sich auf den Boden und begann mit dem Totsingen.  
    *  
    Ob das Licht ausreichen würde? Alistair warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster, dessen Vorhänge heute ausnahmsweise zurückgezogen waren. Der Himmel war bewölkt, die Sonne nicht zu sehen. Nicht die besten Voraussetzungen. Beim ersten Versuch mit dem neuen Rohr war sein Forschereifer jäh gebremst worden, als er beim Hindurchsehen nicht das Geringste hatte erkennen können. Diesmal war er besser vorbereitet. Auf seinem Schreibtisch lag griffbereit sein kleiner runder Reisespiegel. Damit müsste es gelingen, das Tageslicht entsprechend umzuleiten.  
    »Auf ein Neues.« Alistair lockerte seine Halsbinde, wischte die feuchten Hände an seinem Rock ab und wandte sich dem jungen Sträfling auf dem Stuhl vor ihm zu. O’Sullivan stellte sich inzwischen recht ordentlich an. Mit geschlossenen Augen legte er den Kopf in den

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