Das Lied der roten Erde (German Edition)
Nacken.
»Und jetzt nicht bewegen!« Alistair beugte sich über ihn.
Mit dem linken Zeigefinger drückte er O’Sullivans Zunge nach unten und schob mit der Rechten das Rohr in die Rachenhöhle, bis er einen Widerstand spürte. Der Ringknorpel. O’Sullivans Körper versteifte sich. Er stemmte seine Beine gegen den Boden, stieß einen gequälten Laut aus und kämpfte sichtlich gegen den Würgereiz. Auf der Suche nach einem Halt fuhren seine Hände ziellos durch die Luft, bis er hinter sich griff und Alistairs Weste zu fassen bekam. Seine Finger krampften sich in den Stoff.
Wie nah er ihm war! Eine Kaskade der Erregung flutete über Alistair hinweg, es klopfte heiß in seinen Lenden. Nicht jetzt! Vorsichtig presste er seine Körpermitte gegen die Stuhllehne, um jede verräterische Regung zu unterdrücken, und zwang sich, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren.
Der Anfang war immer der schwierigste Teil, dann, wenn die Muskulatur des Kehlkopfs sich krampfhaft zusammenzog und der Würgereiz am schlimmsten war. Alistairs linke Hand lag unter O’Sullivans Kinn, um ihn an plötzlichen Bewegungen zu hindern. Wahrscheinlich wäre es mit einem Helfer besser gegangen. Aber mit diesem Gedanken konnte Alistair sich nicht anfreunden. Niemand sollte wissen, woran er forschte. Außerdem wäre es für eine dritte Person zu eng in dem kleinen Raum.
Sein Daumen lag an O’Sullivans Halsschlagader, er spürte den Puls hämmern. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis er bemerkte, dass er dem jungen Sträfling sanft über die Haut strich. Sofort hörte er damit auf.
Er wartete, bis der Krampf nachließ und O’Sullivan nicht mehr ganz so stoßweise atmete.
»Ganz ruhig«, murmelte er und schob die starre Röhre unendlich vorsichtig weiter. Seine Weste spannte unter O’Sullivans Griff, aber diesmal ließ er sich davon nicht ablenken.
Als er auf ein Hindernis stieß, hielt er inne. Er durfte nicht das Risiko eingehen, den jungen Gefangenen zu verletzen. Vorsichtig griff er mit der Rechten nach dem Spiegel, hielt ihn an die obere Öffnung des Rohrs, drehte ihn zum Fenster und blickte hinein.
Er sah nichts. Oder zumindest fast nichts. Nur eine düstere, verwaschene Fläche. »Es ist immer noch zu dunkel«, brummte er, mehr zu sich selbst als an O’Sullivan gerichtet. »Das Licht ist zu schwach.«
Er drehte den Spiegel noch einmal in alle möglichen Richtungen, dann gab er auf und zog das Rohr vorsichtig wieder zurück.
O’Sullivan hustete und fuhr sich mit dem Ärmel über sein schweißnasses Gesicht, in das nur langsam wieder etwas Farbe zurückkehrte. Dankbar nahm er den Becher mit Wasser, den Alistair ihm reichte, und trank mit kleinen Schlucken.
Alistair beobachtete ihn verstohlen. Wie es wohl wäre, diese feuchte, gebräunte Haut noch einmal zu berühren, diese sehnigen Muskeln zu spüren? Dann ballte er die Faust. Nein! Diesen schändlichen Begierden durfte er nie wieder nachgeben!
Eine weitere Szene kam ihm mit Macht in den Sinn – kein Wunschtraum, sondern Erinnerung. Schimmerndes Kerzenlicht, ein großes Bett voller Kissen, verbotene Gelüste im Schutz der Masken, der herbe Duft eines anderen männlichen Körpers, dann das unbeschreibliche Gefühl, als –
»Sir?«
Alistair zuckte zusammen.
»Sir, könnte man nicht …« O’Sullivan räusperte sich, seine Stimme war rau. »Würde eine Kerzenflamme genug Licht geben? Oder eine Laterne?«
Es brauchte einen Augenblick, bis Alistair zurückfand in die Gegenwart. Wo war seine ärztliche Sachlichkeit? Dann nickte er. »Eine Kerzenflamme?« Er lief ein paar Schritte auf und ab, um wieder klar denken zu können. »Nun, das könnte möglicherweise funktionieren. Sehr gut, O’Sullivan. Du denkst mit. Das gefällt mir.«
Der junge Mann blickte auf. »Wollt Ihr … jetzt gleich noch einmal?«
Alistair sah den Sträfling an, der offensichtlich gewillt war, seinen Vorschlag sofort in die Tat umzusetzen. Was doch die Aussicht auf Begnadigung alles bewirken konnte …
Er ballte erneut die Fäuste, um das Zittern zu unterdrücken, seine Lenden schmerzten vor unterdrücktem Begehren. So konnte er unmöglich weiterarbeiten.
»Nein«, sagte er. »Für heute ist Schluss. Wir machen ein andermal weiter. Morgen.«
11.
Vom Leben in der Kolonie gab es fast täglich etwas Neues zu berichten, und Klatsch und Tratsch verbreiteten sich schnell. In Sydney und Parramatta wurden einige Schafdiebe und
Weitere Kostenlose Bücher