Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
seinen Erinnerungen über den Beginn ihrer Beziehung los. Liebste Jess! Er musste dafür sorgen, dass sie so schnell wie möglich wieder gesund wurde.
Aus der Besinnungslosigkeit wieder aufzutauchen war, als ob man sich seinen Weg aus einer dunklen, glattwandigen Grube zu einem stecknadelkopfgroßen Lichtschimmer kämpfen musste. Ihr Körper fühlte sich an wie Blei, ihr Atem ging flach, ihr Kopf war unfähig, einen Gedanken für mehr als eine Sekunde festzuhalten. Alles schien ihr zu entgleiten. Sie zwang sich, die Lider einen Spaltbreit zu öffnen – was an sich schon anstrengend war, da sie sich anfühlten, als ob ein Gewicht darauf lastete – und überprüfte durch die Sehschlitze ihre Umgebung.
Wo war sie? Nichts kam ihr bekannt vor. Grell weiße Wände und Decke, ein pastellfarbener, langweiliger Druck in einem Rahmen an der Wand. Vertikale Jalousien vor einem vergitterten Fenster. Gitter! Sie versuchte, die Hände zu bewegen, doch irgendetwas hielt sie fest. Sie kämpfte gegen die Fesseln an, verwirrt, und öffnete die Augen weiter, als sie weit oben an der Wand einen Fernsehbildschirm erkannte.
Was zum … Wo war sie?
Fast gegen ihren Willen senkten sich Jessicas Augenlider wieder und schlossen sich. Sie war so müde, so verdammt müde. Kann nicht denken, kann nicht fühlen. Der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Lippen. Damian. Erinnerung. Eine Träne rollte aus ihrem linken Augenwinkel. Will nicht denken. Dankbar überließ sie sich erneut der Dunkelheit.
Alison Marcelle, in Begleitung ihres Mannes Keith, starrte ihren Schwager ungläubig an, während David Greiner und Max Lowe, Jessicas Geschäftspartner, versuchten, im Wohnzimmer des Pearce-Hauses am Hauptkanal von Mandu rah möglichst unauffällig zu wirken.
»Das ist nicht dein Ernst, Simon. Ich kann nicht glauben, dass du Jessica wegbringen willst. Das ergibt doch gar keinen Sinn!«, stieß Alison hervor. Mühsam beherrschte sie ihr berüchtigtes Temperament, das zu ihrem feuerroten Haar passte.
Simon warf einen Blick auf Jessicas Schwester, die einen modisch gemusterten Hosenanzug trug. Für ihr Alter von dreiundvierzig hielt sie sich sehr gut, auch wenn sie ein paar Kilo zu viel hatte. Er hatte gewusst, dass er bei Alison einiges an Überzeugungsarbeit würde leisten müssen. Seit Jessica ins Sanatorium gekommen war, wachte Alison über sie wie die sprichwörtliche Glucke über ihr Küken. Regelmäßig besuchte sie das Krankenhaus, versuchte, Informationen über Jessicas Geisteszustand zu bekommen, stellte Fragen, ob ihre Krankheit irgendwie mit Schizophrenie in Verbindung stand, unter der ihr Großvater gelitten hatte, und wurde so langsam zu einer Plage. Alles natürlich aus Sorge um ihre Schwester. Er bezweifelte nicht, dass sie sich nahestanden, doch ihr Getue war eine Belastung – für alle.
Zusätzliche Sorge bereitete es ihm, dass Nikko bislang nicht in der Lage gewesen war, die Möglichkeit auszuschließen, dass Jessica oder auch Alison in Zukunft die Krankheit ihres Großvaters bekommen konnten. Schizophrenie war eine Krankheit, die sich nicht vorherbestimmen ließ, und trotz aller medizinischer Forschung wusste man noch nicht alles darüber. Man hatte ihm gesagt, er solle einfach abwarten, was ihn absolut nicht befriedigte. Doch er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um seine Frau wieder gesund zu machen, und wenn das hieß, sein Projekt auf Eis zu legen, dann würde er genau das tun.
»Eigentlich ergibt das schon einen Sinn.« Simon blieb ruhig, im Gegensatz zu Alison. »Jessica ist jetzt seit fast drei Monaten im Sanatorium. Nikko ist mit ihren Fortschritten zufrieden, wie ihr wisst, und sie ist fast so weit, nach Hause zu kommen.« Er machte eine Pause, um die verschiedenen Möbelstücke zu betrachten, die seine Frau für den Raum ausgesucht hatte. »Ich glaube nicht, dass es ihr guttut, hierher zurückzukommen.«
»Dann kauf ein anderes Haus in einer anderen Vorstadt«, empfahl ihm Alison. »Lass sie es selbst einrichten – das wäre doch eine Hilfe, oder? Dann wäre sie beschäftigt.« Ihr Blick folgte Simons, und sie bemerkte die fehlenden Fotos. Früher hatten im ganzen Haus verteilt Fotos von dem kleinen Damian gestanden, Fotos von seiner Taufe, beim Krabbeln, als er seinen ersten Zahn bekommen hatte, laufend, einen Ball tretend. Sie erinnerte sich daran, dass sie ihre Schwester damit aufgezogen hatte, dass sie wahrscheinlich ständig Staub wischen würde.
»Ja, aber sie wäre nach wie vor in
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