Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
verheiratet, den er bis jetzt mochte und respektierte. Und genauso offensichtlich wie die gebrochene Nase in seinem Gesicht war die Tatsache, dass Jessica Pearce ih ren Mann liebte. Ende der Geschichte, Ende aller weiteren Möglichkeiten, soweit es ihn betraf. Na, sicher doch! , lach te ihn eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf aus.
Er klopfte an die Hintertür und wartete.
Mit einem Pinsel voll blauer Farbe in der Hand und einem Lumpen in der anderen sah Jessica durch das halbtransparente Glas, erkannte den Besucher und öffnete die Tür weit und einladend.
»Guten Morgen, Marcus. Ich dachte, Sie wollten heute zu Hause bleiben und sich nach der Feierei von gestern erholen?«
»Hi, Jessica.« Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Bei vier Kindern unter fünf Jahren kann sich in Hunter's Glen niemand wirklich entspannen. An den Plätzen, an denen sich normalerweise die Touristen gerne aufhalten, dürfte es heute ziemlich ruhig sein. Da dachte ich, ich fahre mal runter zum Friedhof, um etwas zu arbeiten.« Er hielt eine Plastiktüte hoch. »Sie haben Ihre Strickjacke bei uns vergessen. Nan dachte, Sie würden sie vielleicht brauchen, wenn es kühler werden sollte, bevor Sie das nächste Mal zum Atelier kommen. Sie sagte, Sie wollen einen Tag mit ihr dort verbringen, wenn die Familie wieder weg ist?«
Jessica nahm die Tasche. Die Strickjacke hatte sie ganz vergessen. »Vielen Dank!« Dann antwortete sie auf seine Frage: »Ja, mich interessiert der Arbeitsablauf. Nan war so freundlich, mir anzubieten, an einem ihrer Arbeitstage zusehen zu dürfen.«
»Freundlich!«, lachte Marcus leise. »Ja, freundlich ist meine Schwester schon, aber sie hat darüber hinaus nichts gegen Hilfe einzuwenden. Sie werden kein passiver Beobachter sein, glauben Sie mir. Sie werden arbeiten müssen. Ziehen Sie unbedingt alte Sachen an, ja?«
Jessica betrachtete die Bluse, die sie über einen gemusterten Rock gezogen hatte. Beide Kleidungsstücke waren mit Farbe bekleckert. Sie lächelte ihn an. »So etwas wie das hier?«
Sein Grinsen wurde breiter, als er sie von oben bis unten musterte, ein Prozess, der seinen Blutdruck um einige Grad nach oben steigen ließ. »Perfekt.«
Jessica erinnerte sich daran, dass Nan gestern beim Essen über Marcus' Leidenschaft für die Geschichte der Insel gesprochen hatte. Deren Aufzeichnung würde ihrer Meinung nach zu seinem Lebenswerk werden. Sie musste die Bemerkung unterdrücken, dass es ihr als eine merkwürdige Beschäftigung erschien, so viel seiner Freizeit in den Ferien den Toten zu widmen. Stattdessen bot sie ihm an: »Möchten Sie vielleicht einen Kaffee, bevor Sie nach Kingston fahren?«
»Gerne«, nahm er an. Sie wanderten in die Küche, wo er Jessica zusah, wie sie den Kaffee machte, und gingen dann in den Wintergarten.
»Ich habe mir schon gedacht, dass man von hier aus einen herrlichen Blick hat«, meinte Marcus, als sie am Fenster standen und über die weiten Weiden zum Pazifik hinunterschauten.
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich weitermale?« Sie wedelte mit dem Pinsel und zeigte auf die Staffelei. »Das Licht ist gerade richtig, und die da«, meinte sie mit einen Blick auf die weißen Cumuluswolken, die sich vom Wasser her näherten, »werden in einer Stunde da sein.«
»Nein, bitte machen Sie nur. Darf ich mal sehen?«, fragte er, neugierig geworden.
»Es gibt noch nicht viel zu sehen«, erklärte sie, »aber nein, ich habe nichts dagegen. Es hat mich wirklich wieder gepackt. Ich will nur noch malen. Nachdem ich so viele Jahre lang keinen Pinsel mehr angerührt habe, ist das wirklich erstaunlich.«
Er stand schräg hinter ihr und beobachtete, wie sie einen pastellblauen Himmel als Hintergrund aufs Papier brachte. Ihre Gesichtszüge waren konzentriert, während sie arbeitete, und das gab ihm die Gelegenheit, sie zu betrachten, ohne dass es ihr zu sehr bewusst wurde.
»Mir gefällt es«, sagte er schließlich, nachdem er die Landschaft betrachtet und mit dem Blick aus dem Fenster verglichen hatte. Sie hatte die Selbstvergessenheit des Weins eingefangen, der sich um den schmiedeeisernen Bogen rankte und durch den sich eine Art Kletterrose wob, deren Blüten dem Grün an einigen Stellen leuchtende Farbtupfer verliehen.
»Erzählen Sie mir doch, was Sie auf dem Friedhof tun.«
Marcus nippte am Kaffee und fragte sich, wie lange er sich wohl an der einen Tasse festhalten konnte, ohne dass es unanständig wirkte.
»Das ist zeitaufwändig, aber das ist es wert. Schon viele
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