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Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynne Wilding
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Experiment hatte sie vor Jahren schon ein paarmal unternommen, und sie hatte aus den Fehlern gelernt.
    Stattdessen setzte sie sich aufs Sofa und, das Kaffeetischchen als Schreibtisch nutzend, beantwortete sie die Post, unter anderem einen Brief von Max und David aus der Kanzlei, der sie über den neuesten Klatsch informierte. Mandy von der Rezeption hatte gekündigt, und Faith Wollinski, die seit fünfzehn Jahren in der Firma arbeitete, würde heiraten. Gleichermaßen wichtig war die Information über die neuesten Fälle und wie sich die Rechtsanwältin machte, die sie vertrat. Sie runzelte die Stirn, als sie versuchte, Max' Handschrift zu entziffern, und musste erkennen, dass ihr die Büroräume von Greiner, Lowe und Pearce, die Rechtsstreitigkeiten und die Gerichtstermine nicht im Mindesten fehlten.
    Wer hätte das gedacht? Sie sah von dem Brief auf, als sie über diese neue Erkenntnis nachgrübelte. Früher hatte sie für ihren Beruf gelebt, für das Schlagen und Parieren, wenn sie einen Fall annahm mit dem Ziel, ihn für ihren Klienten und die Firma zu gewinnen. Familienrecht war ein anstrengendes Spezialgebiet – und ein deprimierendes. Es gab so viele Ungerechtigkeiten und oftmals keinen klaren Gewinner. Dazu hatte man nicht immer das Gefühl, dass das Urteil wirklich richtig war.
    Vermutlich lag ihr mangelndes geschäftliches Interesse daran, was sie seit Damians Tod durchgemacht hatte. Gott wusste, dass sie sich seitdem nur für wenig interessiert hatte. Aber, stellte sie an ihrer Unterlippe nagend fest, sie machte Fortschritte. Ihr Leben bekam langsam wieder eine gewisse Regelmäßigkeit.
    Sie ging in den Wintergarten und merkte, dass der Regen nachgelassen hatte, doch immer noch war es zu dunkel, um zu malen. Es war ein weicher, diesiger Nieselregen, fast unsichtbar. Der Anblick führte sie viele Jahre zurück in die Zeit in London, als sie und Simon sich warm anzogen, um im Regen spazieren zu gehen. Die Einheimischen hatten sie für verrückt erklärt, aber wenn man aus dem westlichen Australien kam, wo es manchmal monatelang nicht regnete, und wenn man dazu jung und frisch verliebt war, dann genoss man solche Dinge. Plötzlich traf sie eine Entscheidung. Genau das würde sie tun: spazieren gehen. Hatte sie Regenkleidung eingepackt? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern …
    So durchstöberte sie den Kleiderschrank und fand eine Nylonjacke mit Kapuze, die Simon gehörte. Sie zog ihre ältesten Jeans an und ein paar verwitterte Doc Martens, schnappte sich einen Regenschirm und stieg in den kleinen Kombi, den Simon für sie gemietet hatte. Während sie zum Meer fuhr, erinnerte sie sich an Marcus' Einladung zu einer Hunter-Tour. Nein, sie würde sich nicht aufdrängen. Sie würde einfach drauflosfahren …
     
    Stundenlang wanderte Jessica die Quality Row entlang und durch die Gebäude, die zum größten Teil während der zweiten Besiedlungsphase der Insel entstanden waren, befasste sich mit ihrer Geschichte und las die Tafeln und Broschüren für die Touristen. Es war nicht schwer, sich das Elend der Strafgefangenen vorzustellen, die hierher geschickt worden waren, und auch das ihrer Aufseher, die ebenfalls unter Entbehrungen gelitten haben mussten. Kings ton, wie die Siedlung jetzt hieß, sah friedlich und landschaftlich reizvoll aus, doch seine Geschichte war alles andere als das. Die Mutterkolonie von Sydney Town, wie die Stadt früher hieß, hatte nur die gefährlichsten Sträflinge hierher geschickt, diejenigen, die noch während ihrer Gefangenschaft wieder straffällig geworden waren. Viele der Kommandanten, die die Lager beaufsichtigen sollten, mussten nach heutigen Standards noch schlimmere Monster gewesen sein als ihre Sträflinge.
    Vor wenig mehr als zweihundert Jahren war mit der Einrichtung der Kolonie von Kingston die erste geschichtlich belegte menschliche Siedlung auf der Insel gegründet worden, obwohl Jessica auch von früheren Besiedelungen durch Polynesier gelesen hatte, die einen Bananenhain angelegt hatten. Der anfängliche Zustrom an Strafgefangenen und Soldaten sollte die Insel mit dem lavareichen Boden kultivieren. Eine weitere Aufgabe für die Bewohner der Siedlung war es, Bäume für Schiffsmasten zu fällen, die reichen Flachsvorkommen zu ernten und Gemüse anzubauen, um die Läden von Sydney Town zu beliefern, das auf sandigem, unfruchtbarem Boden gegründet worden war.
    Absichtlich oder unabsichtlich war Jessica stetig weiter von der Quality Row fortgewandert und befand sich

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