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Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynne Wilding
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schließlich auf dem Weg zum Jägerzaun des Inselfriedhofes. Irgendetwas – Instinkt oder vielleicht auch nur reine Neugier – veranlasste sie, an den Reihen von Marmorgrabsteinen und den kürzlich verstorbenen Menschen von Norfolk entlangzulaufen bis zu den ungleichmäßigen Reihen alter Grabdenkmäler aus Sandstein, die stark verwittert waren und näher an der Küste lagen, alle nach Osten ausgerichtet. Viele der Grabsteine hatten sich durch die Erosion und die Kraft der Elemente gefährlich zur Seite geneigt.
    Während sich mittags die Sonne den Weg durch die dichten Wolken bahnte, wanderte Jessica zwischen den Grabsteinreihen hindurch, las gelegentlich eine der Inschriften und schüttelte den Kopf, als sie die traurigen Zeilen las: » Hier ruht Dora, die geliebte Tochter von John und Jane Quintal, die an den Folgen von Verbrennungen starb am
    7. August 1866. Sie war 2 Jahre und 6 Monate alt. Leb wohl, mein Liebling. «
    Dass so viele so jung gestorben waren und manche auf so tragische Weise, war eine Tatsache, für die diese Inschriften manchmal das einzige Zeugnis waren, der einzige Beweis, dass diese Person je existiert hatte. Ein Sonnenstrahl fiel schräg auf einen flechtenüberwachsenen Grabstein und erlaubte es Jessica, die Botschaft zu lesen, die eigentlich für alle Ewigkeit hätte dort stehen sollen. Doch sie war fast unlesbar, da zu viele Buchstaben in etwas mehr als anderthalb Jahrhunderten zerstört worden waren. Hätte Jessica daran gedacht, dann hätte sie es sicher seltsam gefunden, dass sie keine Parallele zu ihrem eigenen Verlust zog, während sie die Geschichte der Siedlung nachverfolgte.
    » Jessica .«
    Das leise Rufen ihres Namens in singendem Flüstern ließ sie sich umdrehen. Es war niemand da. Es war niemand in der Nähe. Sie sah den Hügel entlang und stellte fest, dass außer ihr nur noch eine Familie an einem weit entfernten frischen Grab auf dem Friedhof stand.
    Verwirrt ging sie weiter, sie dachte schon, dass sie es sich eingebildet hätte, und lachte leise über die unsinnige Vorstellung. Von alten Grabsteinen und einer gewissen Melancholie, die die Geschichte dieses Ortes mit sich brachte, wollte sie sich nicht einschüchtern lassen. In der Vergangenheit hatte es ihr nie etwas ausgemacht, über Friedhöfe zu gehen – sie hatte es in Griechenland und in England getan –, also warum sollte sie jetzt beunruhigt sein?
    » Jessica .«
    Wieder. Eindringlicher.
    Jessica stand still, hielt den Atem an und lauschte. Nur das Geräusch der Brandung in der Ferne und das schwache Flüstern des Windes in den majestätischen Pinien drang an ihr Ohr. Wieder diese Kinder?
    Sie wirbelte herum, so schnell sie konnte, halb erwartend, einen Kopf hinter einem Grabstein verschwinden zu sehen. Wieder nichts. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, ihre Lippen pressten sich vor Zorn aufeinander … und noch einem anderen Gefühl. Sie war nicht erfreut. War das dieselbe Person, die am Haus gewesen war und sie aus dem Schutz der Büsche im Garten beobachtet hatte? Warum taten sie – und sie ging davon aus, dass es mehrere waren – ihr das an und versuchten, sie aus der Fassung zu bringen? War es ein Spiel, das sie mit unwissenden Besuchern spielten, von denen sie wussten, dass sie nicht für immer bleiben würden?
    Sie blieb, wo sie war, sie war nicht bereit, irgendjemandem die Genugtuung zu verschaffen, sie wie ein erschrockenes Kaninchen vom Friedhof flüchten zu sehen, boxte die Hände in die Jackentaschen und tat, als ob ihr das nichts ausmachte.
    Bis … plötzlich überkam sie eine Welle von Feuchtigkeit und ungewöhnlicher Kälte. Es begann in ihren Füßen, schien durch die dicken Sohlen ihrer Schuhe zu sickern, wanderte durch ihre Beine in ihren Körper, ihre Arme entlang, den Rücken hinauf bis zum Nacken und gelangte schließlich in ihren Kopf. Ihre Zähne begannen zu klappern, und in weniger als zwanzig Sekunden schien ihre Körpertemperatur um mehrere Grad gesunken zu sein, so musste sie zittern.
    Ihr Blick wanderte zurück zu den Leuten am oberen Ende des Friedhofs. Ein Mann trug Shorts, die Frau ein Sommerkleid, und mittlerweile waren alle Grabsteine und alle grasbewachsenen Hügel in Sonnenlicht getaucht. Es war offensichtlich nicht kalt, aber sie zitterte vor Kälte von Kopf bis Fuß.
    Noch etwas anderes war seltsam, so unmerklich, dass sie es beinahe nicht wahrgenommen hätte. Eine Art Parfum. Sie versuchte, herauszubekommen, an was es sie erinnerte, doch der Duft war zu schwach. Weder

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