Das Lied der schwarzen Berge
es ihn. Vielleicht komme ich nur in die Stadt in ein Gefängnis und sie lassen mir das Leben.
Bonelli grinste, als er den großen, starken Lukacz mit in den Himmel gestreckten Armen hinter dem Haus stehen sah. Die Anwesenheit der Soldaten hatte sein Herz ungemein gestärkt. Sie hatte bewirkt, daß er dem Rate Meerholdts folgte und sich bereit fand, mit Josef zu sprechen. Die Wirkung seines Besuches verblüffte ihn zunächst selbst, er sah sich um, ob jemand hinter ihm stand.
»Josef!« sagte er laut. »Geh ins Haus! Ich habe mit dir zu reden.«
»Sofort, Herr!«
Josef drehte sich um und ging mit erhobenen Händen ins Haus zurück. Bonelli folgte ihm, ganz Sieger und bereit, gutmütig zu sein. Wenn es auch in seinen Händen zuckte und er daran dachte, die Schläge in einem Arbeitsgang zurückzugeben, beherrschte er sich und schloß hinter sich die Tür. Sie befanden sich in einem Vorraum des Stalles, in dem das Heu gestapelt war und eine Kiste mit Schweinefutter stand. Bonelli setzte sich auf den Deckel der Kiste und betrachtete Lukacz eingehend, der immer noch mit erhobenen Händen vor ihm stand.
»Du hast mich also dreimal überfallen!« stellte Bonelli fest. Er sah die Angst in den Augen Lukacz' und beschloß, sie auszunutzen. Für Katja ist mir alles recht, rechtfertigte er sich innerlich. Auch ein wenig Betrug und Brutalität.
Lukacz nickte schwer. »Ja. Dreimal.«
»Mal das linke Auge, dann das rechte, jetzt wieder das linke mit der Nase zusammen! Ein bißchen viel, findest du nicht auch?«
Lukacz nickte schwer und seufzte.
»Was soll ich nun mit dir tun?« fragte Bonelli leise und schüttelte den Kopf. »Die Soldaten sind da …«
»Ich habe sie gesehen«, stöhnte Lukacz. Ein Zittern lief durch seinen Körper. Also doch erschießen, kein Gefängnis. »Du hast mir Katja weggenommen, Herr.«
»Katja? Bist du mit ihr verheiratet?«
»Nein.«
»Verlobt?«
»Nein.«
»Hat sie dir gesagt, daß sie dich mag?«
»Nein. Aber ich liebe sie.«
»Idiot!« Bonelli schüttelte den Kopf. »Ich liebe sie auch! Ich will sie sogar heiraten!«
»Und Katja will es auch?«
Bonelli wich der Frage aus. Er hatte darüber noch kein Wort bei Katja verloren. Der Gedanke, sie zu heiraten, war ihm erst nach dem zweiten linken blauen Auge und der geschwollenen Nase gekommen, beim Anblick seines deformierten Gesichtes im Spiegel und der Ahnung, daß diese Leiden erst aufhörten, wenn seine Absichten reell wurden.
»Ich hätte genau das gleiche Recht, dich zu schlagen«, meinte er deshalb. In den Augen Lukacz' glomm ein Funken Hoffnung auf.
»Tue es, Herr. Dann sind wir quitt.«
»Und der ganze Tanz beginnt von neuem?! Nein!« Bonelli schlug sich auf die prallen Schenkel. »Es wird jetzt hier, an dieser Stelle, festgelegt, zu wem Katja gehört, verstanden? Und nimm die dämlichen Arme endlich runter«, sagte er irritiert. »Ich bin doch kein Henker.«
Josef Lukacz ließ die Arme sinken und lehnte sich gegen einen Stützbalken des Daches. Schweiß stand ihm auf der Stirn, er hatte das Gefühl, nahe an seinem Tod vorbeigegangen zu sein. Pietro Bonelli war ihm unheimlich. Ein Mann, für den hundert Soldaten über die Berge kommen, nur, weil er ein paarmal geschlagen wurde, mußte mächtig sein. Der Mächtige aber, das war ein altes Gesetz Montenegros, hatte das Recht auf seiner Seite. Wer wollte einen Mächtigen schon stürzen …?
»Ich habe Katja vor dir gekannt«, versuchte er einen leisen Vorstoß des Widerspruchs. Aber eine Handbewegung Bonellis ließ ihn sofort verstummen.
»Natürlich! Ihr seid aus dem gleichen Dorf, ihr habt als Kinder zusammen gespielt, ihr habt die Kühe und Schafe gehütet, mein Gott – davon kann man doch nicht das Recht ableiten, einen Menschen zu besitzen! Wenn ich alle Mädchen heiraten wollte, mit denen ich als Kind gespielt habe …«
Bonelli hielt den Atem an und schüttelte den Kopf. Madre mia … die Gasse in Neapel, in der er aufwuchs. Wäsche von Wand zu Wand über die Straße gespannt, darunter ein Heer schmutziger Kinder, die im Unrat spielten und aus den fauligen Abfällen der Häuser Torten backten wie andere Kinder aus nassem Sand. Lucia Sergalla sah dann aus dem Fenster und schrie ihrem dreckigen Bambino zu:
»Mach dir nicht in die Hosen, Giulio! Wir haben bis August keine Seife mehr!«
Und es war erst Juni. Und dann die kleine Theresa, der Dreckspatz der Via Solfino. Fünf Jahre war sie damals alt, und wenn sie ein Bedürfnis plagte, setzte sie sich an den Rand der Via
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