Das Lied der schwarzen Berge
wir schon! Wir können den Wagen hinten am Kran lassen und fahren so zurück.«
»Wieder über den Pfad?« Der Monteur sah Meerholdt schief an.
»Ich glaube nicht, daß es einen anderen Weg gibt. Morgen in aller Frühe ist Abmarsch, Jungs.«
»In Ordnung, Herr Ingenieur.«
Während die beiden Fahrer bei zwei anderen Bauern schliefen, saß Meerholdt am Abend mit Rosa an der Feuerstelle. Sie hatten gegessen … Hammelbraten und Klöße aus weißem Mehl, ein Abschiedsessen, das Marina gekocht hatte und das es nur an hohen Feiertagen in Zabari gab. Dazu hatten sie einen Wein getrunken, den Fedor aus Hagebutten herstellte … er schmeckte herb, aber sein Alkohol ging ins Blut und ließ die Männer der schwarzen Berge für eine Nacht trunken werden und selig wie beschenkte Kinder.
Nun saßen sie am Feuer. Rosa hielt einen Becher mit Wein in der Hand. Ralf hatte einen eisernen Stab und schürte die Glut. Die aufquellenden Flammen waren das einzige Licht, das den großen Raum flackernd erhellte. Öl ist knapp, Herr, hatte Fedor gesagt. Und selbst ein Abschied ist kein so hohes Fest, daß man die blakende Lampe mit Öl füllen könnte und der Raum in das Dämmerlicht der bläulich brennenden Flamme gehüllt würde.
Der Schein des Feuers glitt über das schwarze Haar Rosas und über das schmale Gesicht mit den großen Augen. Sie saß etwas nach vorn gebeugt, und aus dem Kleid sah man den Ansatz ihrer Brust, überzuckt von den Flammen des Herdes. Ihre langen, schmalen Finger glitten an dem hölzernen Becher auf und ab, als streichle sie ihn, bevor sie ihn zu Ralf hinüberreichte.
Wieder spürte er das Klopfen des Blutes in seinen Schläfen. Er hatte es in den vergangenen drei Tagen vermieden, länger als notwendig mit Rosa zusammen zu sein. Am Tage streifte er in den Felsen und durch die Wälder herum, untersuchte die Herkunft des vielen Wassers gerade in diesem Teil des Gebirges, maß und entnahm Bodenproben, spürte den Quellen nach und arbeitete eigentlich so, wie er es sich vorgenommen hatte, als er vor einigen Tagen mit seinem kleinen Wagen von Foca abfuhr und sich in den Gedanken verbissen hatte, diesen weitgehendst unbekannten Teil der montenegrinischen Berge zu durchstreifen.
Er war in diesen Tagen auf rätselhafte Dinge gestoßen. Einmal kam eine kleine Quelle aus einem Felsen und vereinigte sich mit einem Bach, der plötzlich aus einer Erdspalte hervorbrach, nicht quellartig, sondern in voller Breite, als sei er der Ausfluß eines unterirdischen Wasserbeckens. An einer anderen Stelle, seitlich des Waldes, entdeckte er ein fast kreisrundes Tal, dessen Ausgang man nur mit einer etwa 25 Meter hohen Mauer zu schließen brauchte, und ein natürliches Staubecken konnte geschaffen werden, dessen Wasserdruck an der Sohle für eine Turbinenanlage großen Stiles ausreichte.
Am letzten Tage hatte Ralf Meerholdt dieses Tal genau vermessen, in seine Karte eingezeichnet und von allen Seiten fotografiert. Nicht allein die Anwesenheit Rosas in Zabari begeisterte ihn, sondern der Zufall, ein von der Natur geschaffenes natürliches Staubecken entdeckt zu haben, das das Gesicht der ganzen Landschaft um Zabari herum verändern konnte, fesselte ihn und ließ seine Gedanken von den schwarzen Locken Rosas und ihren großen, dunklen Augen abschweifen. Nur wenn die Abende kamen, die langen Nächte inmitten der himmelhoch aufstrebenden Felsen, wenn er am Feuer saß und die Suppe mit Fedor und Marina aß, während Rosa sie bediente, stahl sich Angst in sein Herz vor den wenigen Stunden, in denen er mit Rosa allein in dem großen Raum der Hütte sein würde.
Fedor und Marina gingen früh in ihre Kammer und legten sich auf ihre Felle. Sie ließen Rosa, die an einem Teppich knüpfte, mit Meerholdt allein, denn ein Gast achtet die Gastfreundschaft und das Haus … sie kannten es nicht anders seit Jahrhunderten und vertrauten auf das alte Sittengesetz ihrer Ahnen. Ralf ahnte es – und er zwang sich, in diesen Stunden Rosa nicht mehr anzusehen und nicht mehr Worte mit ihr zu wechseln, als es notwendig war. Nur, wenn er plötzlich aufblickte, wenn er sich umdrehte, wenn er nach etwas griff und hinüber zu Rosa sah, bemerkte er ihren Blick auf sich ruhen, groß, sehnsuchtsvoll, gemischt mit der Bewunderung, die ihre naturhafte Seele für alles empfand, was fremd war und den Hauch der großen unbekannten, erträumten Welt jenseits der Berge mit sich trug. Dann stand er meistens auf, ging in seine Kammer und ließ sich auf sein weiches
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