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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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aufgeregt im ersten Wagen um, aber er war nirgendwo. Angst stieg wie ein Kloß in meiner Kehle hoch. Dann sah ich seinen schimmernden Haarschopf direkt neben der Tür im zweiten Wagen. Ich drängte mich durch die Leute, fand einen Stehplatz direkt neben ihm und schob mein Knie vorsichtig gegen seines. Bei diesem physischen Kontakt schaute er von seiner Zeitung auf, und in den Winkeln seiner grauen Augen bildeten sich kleine Fältchen, als er den Mund andeutungsweise zu einem Lächeln verzog. Ich lächelte zurück und sagte: »Entschuldigung.«
    »Kein Problem«, erwiderte er. »Diese Bahn wird von Tag zu Tag voller.«
    Ich hätte die Unterhaltung gern fortgesetzt, aber mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können. Er wandte sich wieder seinem
Guardian
zu, und ich mußte mich damit zufriedengeben, ihn aus dem Augenwinkel zu beobachten, während ich so tat, als würde ich nach draußen schauen. Es war nicht viel, was sich da zwischen uns abgespielt hatte, das war mir klar, aber es war ein Anfang. Er hatte mich angesehen; er wußte, daß ich existierte. Jetzt war alles andere nur noch eine Frage der Zeit.
     
    Shakespeare hatte recht, als er sagte: »Als erstes sollten wir alle Rechtsanwälte umbringen.« Es würden dann weniger Lügner rumlaufen. Ich hätte von einem Mann, der an einem Tag für den Kläger spricht und am nächsten für den Angeklagten, nichts anderes erwarten sollen.
    Ich hatte den Wagen direkt um die Ecke von Gareth’ Haus abgestellt, und von diesem Platz aus konnte ich ihn sehen, wenn er heimkam, ohne selbst gesehen zu werden, da mein Jeep dunkel getönte Scheiben hat. Vor seinem Haus war keine Hecke, so daß ich von meinem Beobachtungsplatz aus direkt in sein Wohnzimmer schauen konnte.
    Inzwischen kannte ich seine Gewohnheiten. Er kam kurz nach sechs heim, ging in die Küche und holte sich eine Dose Grolsch, setzte sich anschließend im Wohnzimmer vor den Fernseher und trank das Bier dazu. Nach ungefähr zwanzig Minuten holte er sich etwas zu essen aus der Küche – eine Pizza, Bratkartoffeln, Fertiggerichte. Kochen war anscheinend nicht seine Stärke. Wenn wir erst zusammen waren, würde ich wohl die Verantwortung für diesen Teil unseres gemeinsamen Lebens übernehmen müssen.
    Nach den Nachrichten verließ er das Wohnzimmer, anscheinend, um in einem anderen Zimmer noch zu arbeiten. Ich stellte mir Gesetzbücher auf Fichtenholzregalen vor. Dann, später am Abend, kam er entweder ins Wohnzimmer zurück und schaute Fernsehen oder ging in den Pub an der Straßenecke und trank ein paar Bier.
    Gareth braucht jemanden, der sein Leben mit ihm teilt, dachte ich, während ich auf seine Heimkehr wartete. Ich war der richtige Mensch dafür. Gareth würde ein Weihnachtsgeschenk sein, das ich mir selbst machte.
    Um Viertel nach fünf fuhr ein weißer VW -Golf auf einen freien Parkplatz ein paar Häuser weiter, und eine Frau stieg aus. Sie beugte sich noch einmal zurück in den Wagen und holte eine prall gefüllte Aktentasche und eine Handtasche heraus. Sie kam mir irgendwie bekannt vor, als ich sie über den Bürgersteig gehen sah. Klein und schlank, hellbraunes, zu einem dicken Zopf geflochtenes Haar, große Schildpattbrille, schwarzer Hosenanzug, weiße Bluse mit Spitzenvolant.
    Als sie in den Zugang von Gareth’ Haus einbog, konnte ich es einfach nicht glauben. In den wenigen Sekunden, die sie bis zur Haustür brauchte, redete ich mir ein, sie sei seine Maklerin, eine Versicherungsagentin, eine Kollegin, die ihm irgendwelche Unterlagen brachte, alles mögliche, nur nicht …
    Dann holte sie einen Schlüssel aus ihrer Handtasche. Nein!, schrie es in mir auf, als sie ihn ins Türschloß steckte, aufschloß und ins Haus ging. Die Wohnzimmertür öffnete sich, und sie warf die Aktentasche auf das Sofa. Dann verschwand sie, kam nach einigen Minuten zurück und trug Gareth’ großen weißen Frotteebademantel.
    Ich stimmte Shakespeare völlig zu.
    Wir waren in der fröhlichen Weihnachtszeit, und so zwang ich mich, mir durch diese Enttäuschung nicht die Stimmung verderben zu lassen. Statt dessen konzentrierte ich mich auf die Überlegung, was jetzt zu tun war. Ich wollte etwas machen, das der Weihnachtszeit entsprach, irgendeinen barbarischen christlichen Symbolismus in die Tat umsetzen. Nun kann man natürlich mit einer Krippe und Windeln nicht viel anfangen, also erlaubte ich mir die künstlerische Freiheit, mich von der Geburt zu lösen und dem Ende des Lebens zuzuwenden.
    Die Römer haben die

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