Das Lied der Sirenen
Software-Erstellung einnimmt, aber ich wäre nicht erstaunt, wenn wir ihn als Systemmanager oder Programmtester antreffen würden. Er wird wahrscheinlich nicht besonders gut mit seinen Vorgesetzten auskommen, ihnen wohl eher als ungehorsam und zu Widerspruch neigend auffallen.
Im Hinblick auf seine berufliche Tätigkeit, seine Zielvorstellungen sowie seiner häuslichen Umstände wird er der Mittelklasse zuzurechnen sein, obwohl er meines Erachtens aus der Arbeiterklasse stammt. Er ist handwerklich geschickt, aber ich neige nicht zu der Ansicht, daß er in einem handwerklichen Beruf tätig ist, schon allein aus dem Grund, daß er es
versteht, bei den Morden so sorgfältig und vorausschauend zu planen.
Sozial ist er isoliert. Er muß nicht zwangsweise ein Einzelgänger sein, aber er sucht mit großer Wahrscheinlichkeit von sich aus keine Kontakte zu anderen Menschen. Er fühlt sich als Außenseiter. Vielleicht hat er sich nach außen hin eine oberflächliche Kontaktfähigkeit angeeignet, aber in seinem Benehmen schlägt er meistens den falschen Ton an. Er ist ein Mann, der oft zu laut lacht, der meint, er sei lustig, wenn er in Wirklichkeit andere Menschen zutiefst verletzt, der oft in einem Tagtraum gefangen zu sein scheint. Er hat keine wirklichen Freunde, auch wenn er notgedrungen in der Gruppe mitmacht. Sein soziales Versagen ist ihm im Grunde nicht bewußt. Er zieht es vor, mit seinen Phantasien allein zu bleiben, denn er weiß, wenn er sich anderen anschließt, hat er nicht mehr fest unter Kontrolle, was um ihn herum vorgeht.
Es ist sehr gut möglich, daß er dennoch nicht allein lebt. Wenn er mit jemandem zusammenlebt, wird es eher eine Frau als ein Mann sein. Weil er sexuell von Männern angezogen wird und das für sich nicht akzeptieren kann, wird er unter keinen Umständen eine Beziehung zu einem Mann unterhalten, nicht einmal eine platonische Freundschaft. Seine Beziehung zu einer Frau kann sich durchaus auch auf sexuelle Kontakte erstrecken, aber er wird kein begeisterter oder guter Liebhaber sein. Seine heterosexuelle Potenz wird sogar kaum den Ansprüchen genügen, und er könnte regelmäßig Probleme haben, Erektionen zu bekommen oder durchzuhalten. Er ist jedoch nicht grundsätzlich impotent, und während des Begehens seiner Verbrechen wird er höchstwahrscheinlich imstande sein, einen vollen Sexualakt irgendeiner Art mit seinen Opfern zu vollziehen.
Tony unterbrach seine Arbeit und starrte aus dem Fenster. Manchmal war das alles wie die Sache mit dem primären Vorhandensein des Huhns oder des Eis. Hatte er so viel Einfühlungsvermögen für seine Patienten, weil auch er nur allzugut die Frustrationen und Qualen der Impotenz kannte, oder hatten sich seine sexuellen Probleme einfach nur verstärkt und dazu geführt, daß er dieses Einfühlungsvermögen aufbringen und seinen Job besser machen konnte? »Spielt das eine Rolle?« sagte er ungeduldig, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und konzentrierte sich wieder auf die Arbeit.
Wenn er mit einer Frau zusammenlebt, wird sie höchstwahrscheinlich keinerlei Verdacht haben, daß ihr Partner der Serienmörder sein könnte. Es ist daher zu erwarten, daß sie ihn in einem ersten Instinkt in Schutz nehmen wird, denn sie scheint tief in ihrem Herzen ja zu wissen, daß er es nicht sein kann. Jeder Verdächtige, dem nur von seiner Frau oder Freundin ein Alibi gegeben wird, sollte daher nicht allein deshalb aus dem Kreis der möglichen Täter ausgeschlossen werden.
Er ist mobil, hat einen eigenen Wagen, der sich in gutem Zustand befindet (s. oben). Und an Montagabenden stehen seinem Tun weder irgendwelche Hindernisse noch Verpflichtungen im Weg.
Seine Persönlichkeit ist so strukturiert, daß er stets geordnete Abläufe in seinem Leben anstrebt und geradezu fanatisch darauf aus ist, alles unter Kontrolle zu haben. Er ist ein Mann des Typs, der einen Wutanfall bekommt, wenn seine Freundin vergißt, ihm das gewohnte Müsli zu kaufen. Seine Taten hält er für absolut gerechtfertigt; er glaubt, daß er mit seinen Verbrechen nur das tut, was alle anderen auch tun möchten, aber nicht den Mumm dazu aufbringen. Er ist äußerst empfindlich und meint, die Welt habe sich gegen ihn verschworen; wie kommt es, denkt er, daß er, der doch so intelligent und
talentiert ist, diesen untergeordneten Job machen muß und nicht Chef der Firma ist? Wie kommt es, daß er, der doch so charmant ist, nicht mit einem Super-Model liiert ist? Seine Antwort auf diese Fragen lautet:
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