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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Sie ging mit schnellen Schritten auf den Jeep zu, den Brandon abrupt abbremste und darauf wartete, daß jemand das Absperrband, das die Neugierigen auf Distanz hielt, wegnahm. Sie blieb stehen und sah zu, wie die Constables sich beeilten, den Assistant Chief Constable mit ihrer schnellen Reaktionsfähigkeit zu beeindrucken. Der Range Rover fuhr in die Absperrzone, und Carol bemerkte jetzt, daß auf dem Beifahrersitz ein ihr unbekannter Mann saß. Als die beiden ausstiegen, betrachtete sie den Fremden prüfend und speicherte die Einzelheiten in der Datenbank ihrer Erinnerung, wie sie es sich antrainiert hatte. Man konnte ja nie wissen, ob man eines Tages ein Phantombild von ihm anfertigen mußte. Etwa einsdreiundsiebzig groß, schlank, breite Schultern, schmale Hüften, Rumpf und Beine in richtigen Proportionen, kurzes dunkles Haar mit Seitenscheitel, dunkle Augen, wahrscheinlich dunkelblau, Schatten unter den Augen, helle Gesichtshaut, normale Nase, breiter Mund, die Unterlippe voller als die Oberlippe. Geradezu jämmerlich allerdings die Kleidung. Der Anzug war noch altmodischer als der von Brandon, sah jedoch nicht abgetragen aus. Erste Schlußfolgerung: Es handelt sich um einen Mann, der bei seiner Arbeit normalerweise keinen Anzug trägt und der auch nicht gern Geld wegwirft. Er wird ihn also anziehen, bis er tatsächlich abgetragen ist. Zweite Schlußfolgerung: Er ist wahrscheinlich nicht verheiratet, lebt auch nicht in einer festen Beziehung. Jede Frau, deren Partner nur gelegentlich einen Anzug tragen muß, würde ihn dazu anhalten, ein zeitlos-klassisches Modell zu kaufen, das nicht nach fünf Jahren bereits völlig aus der Mode war. Sie dachte noch darüber nach, als Brandon auch schon bei ihr war und seinem Begleiter winkte, zu ihnen zu kommen. »Hallo, Carol«, sagte er.
    »Mr.Brandon«, grüßte sie ihn.
    »Tony, ich möchte Sie mit Detective Inspector Carol Jordan bekannt machen. Carol, das ist Dr.Tony Hill vom Innenministerium.«
    Tony lächelte sie an und streckte ihr die Hand entgegen. Attraktives Lächeln, fügte Carol ihrer Liste der besonderen Kennzeichen hinzu und schüttelte seine Hand. Auch der Händedruck ist in Ordnung. Kurz, fest, ohne das Macho-Bedürfnis so mancher höherer Polizeibeamter, einem die Knochen brechen zu wollen.
    »Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
    Eine überraschend tiefe Stimme mit einem Anflug von nordenglischem Akzent. Carol lächelte ihn ebenfalls an. Bei diesen Leuten vom Innenministerium konnte man ja nie wissen. »Ich mich auch«, erwiderte sie.
    »Carol ist Leiterin eines der Einsatzteams, die wir zur Aufklärung dieser Morde gebildet haben. Und Tony ist Leiter der Arbeitsgruppe beim Innenministerium, die eine Realisierbarkeitsstudie ›Aufbau einer nationalen Einsatzgruppe zur Erstellung von Verbrecherprofilen‹ erarbeitet. Ich habe ihn gebeten, diese Morde einmal unter die Lupe zu nehmen – vielleicht kann seine Erfahrung uns irgendwelche Hinweise verschaffen.« Brandon sah Carol mit einem bohrenden Blick an, der soviel besagte, wie, daß sie hier zwischen den Zeilen lesen mußte.
    »Ich würde mich über jede Hilfe freuen, die Dr.Hill uns geben kann, Sir. Ich habe den Fundort der Leiche in Augenschein genommen und glaube nicht, daß wir mehr Ansatzpunkte zum Einhaken haben als bei den vorherigen Fällen.« Carol beabsichtigte damit, zu signalisieren, daß sie verstanden hatte, was Brandon hatte sagen wollen. Sie balancierten beide auf demselben Seil, aber von den verschiedenen Enden aus. Man konnte von Brandon nicht erwarten, daß er Tom Cross’ Autorität untergrub, und wenn Carol weiterhin ein erträgliches Dasein bei der Polizei von Bradfield führen wollte, durfte sie ihrem direkten Vorgesetzten nicht offen widersprechen, selbst wenn der Assistant Chief Constable insgeheim mit ihr übereinstimmte. »Möchte Dr.Hill sich den Fundort ansehen?«
    »Wir werden das gemeinsam tun«, sagte Brandon. »Was sind Ihre ersten Erkenntnisse?«
    Carol ging voraus. »Die Leiche ist im Hinterhof dieses Pubs gefunden worden. Der Fundort ist offensichtlich nicht der Tatort, keinerlei Blutspuren. Es handelt sich um einen Weißen, Ende Zwanzig, nackt. Noch nicht identifiziert. Er ist, wie es ausschaut, vor Eintritt des Todes gefoltert worden. Seine Schultern scheinen ausgerenkt zu sein, ebenso die Hüften und die Knie. Mehrere Haarbüschel sind aus der Kopfhaut gerissen worden. Er liegt auf dem Bauch, so daß wir das ganze Ausmaß der Verletzungen noch nicht feststellen

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