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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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lehnte sich gegen die Wand. Jetzt hatte er erreicht, was er erreichen wollte. Nun konnte der geistige Kampf beginnen – seine Kenntnisse der menschlichen Psyche gegen die Fehlschaltung im Gehirn des Mörders. Irgendwo im Muster dieser Morde gab es einen verstecken, labyrinthischen Pfad, der direkt zum Herzen des Täters führte. Tony mußte es irgendwie gelingen, diesem Pfad zu folgen, und er mußte sich dabei vor irreführenden Phantomen hüten, mußte aufpassen, nicht auf trügerischen Grund zu geraten.
    Er stieß sich von der Wand ab, sich plötzlich erschöpft fühlend. Auf dem Weg zur Küche zog er die Krawatte runter und knöpfte das Hemd auf. Ein kaltes Bier, und dann konnte er seine kleine Sammlung von Zeitungsausschnitten über die bisherigen drei Morde noch einmal durchgehen. Er hatte gerade nach einer Dose Boddingtons gegriffen, als das Telefon läutete. Er schlug die Kühlschranktür zu und ging, mit der kalten Bierdose in der Hand, zum Apparat. »Hallo?« meldete er sich.
    »Anthony«, sagte die Stimme.
    Tony schluckte schwer. »Das ist keine günstige Zeit.« Er stellte die Dose auf die Arbeitsplatte vor sich und zog mit einer Hand den Verschluß auf.
    »Spielst du den harten, unzugänglichen Mann? Nun ja, das gehört ja mit zum Spaß, nicht wahr? Ich dachte, ich hätte dich von den Versuchen geheilt, mir aus dem Weg zu gehen. Ich dachte, das hätten wir längst hinter uns gebracht. Bitte, hab nicht wieder einen Rückfall in die Primitivität und leg den Hörer auf. Das ist alles, worum ich dich bitte.« Die Stimme klang hänselnd, und unter der Oberfläche schwang ein glucksendes Lachen mit.
    »Ich spiele nicht den Unzugänglichen«, erwiderte er. »Es ist wirklich kein günstiger Zeitpunkt.« Er spürte, wie aus der Tiefe seines Magens langsam ein brennender Ärger aufstieg.
    »Das liegt an dir. Du bist der Mann. Du bist der Boß. Es sei denn natürlich, du willst mal ein bißchen Abwechslung ins Spiel bringen. Wenn du verstehst, was ich meine.« Die Stimme hörte sich jetzt fast wie ein Seufzen an und quälte ihn mit ihrer schwer zu fassenden Klangfarbe. »Schließlich spielt sich alles ja ganz strikt nur zwischen dir und mir ab. Erwachsene, die in gegenseitiger Übereinstimmung handeln, wie es so schön heißt.«
    »Soll ich dann nicht das Recht haben, nein zu sagen, hier und jetzt? Oder haben nur Frauen dieses Recht?« Er hörte die Anspannung in seiner Stimme, als der Ärger wie Galle in seiner Kehle hochstieg.
    »Mein Gott, Anthony, du klingst so sexy, wenn du wütend bist«, säuselte sie.
    Verlegen nahm Tony den Hörer vom Ohr und starrte ihn an, als wäre er ein Artefakt von einem anderen Planeten. Manchmal fragte er sich, ob das, was da aus seinem Mund kam, dieselben Worte waren, die ans Ohr seines Zuhörers drangen. Mit einer kühl analysierenden Distanz, die er seinem Anrufer nicht übermitteln konnte und wollte, erkannte er, daß er den Hörer so fest umklammert hielt, daß seine Finger ganz weiß waren. Er hob ihn wieder ans Ohr.
    »Wenn ich schon deine Stimme höre, Anthony, werde ich an bestimmten Körperteilen ganz feucht«, sagte sie gerade. »Willst du wissen, was für Kleidungsstücke ich trage, was ich gerade tue?« Sie klang jetzt verführerisch, ihr Atem war lauter als vorher.
    »Ich hatte heute einen anstrengenden Tag, ich muß noch eine ganze Menge arbeiten, und sosehr ich unsere kleinen Spielchen auch mag, ich bin im Moment einfach nicht in der Stimmung dafür.« Aufgeregt schaute Tony sich in der Küche um, als suchte er nach dem nächsten Fluchtweg.
    »Du klingst so aufgeregt, Darling. Laß mich all den Druck, der auf dir lastet, ganz sanft von dir nehmen. Laß uns ein Spielchen machen. Denk fest an mich, denk daran, daß ich dir zur Entspannung verhelfen werde. Du weißt, daß dir danach die Arbeit besser von der Hand geht. Du weißt, daß ich dir das schönste Erlebnis verschaffen kann, das du jemals gehabt hast. Mit einem Hengst wie dir und einer Sexkönigin wie mir sollte uns das nicht schwerfallen. Und nur so zum Einstieg, ich werde dir den schmutzigsten, schärfsten Anruf machen, den wir beide je gehabt haben.«
    Plötzlich fand sein Ärger eine schwache Stelle im Damm und brach sich Bahn. »Nicht heute abend!« schrie er und knallte den Hörer so heftig auf die Gabel, daß die Bierdose hochhüpfte. Träger Schaum quoll aus der dreieckigen Öffnung im Deckel. Tony starrte angeekelt darauf. Er nahm die Dose und warf sie ins Spülbecken. Sie schepperte gegen die

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