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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Menschenverstand und die Rücksichtnahme auf die Karriere behielten letztlich die Oberhand, und er ließ den Arm sinken.
    »Soll das heißen, ich hätte bekommen, was ich wollte, wenn ich Ihnen im Büro den Vorschlag gemacht hätte, diesen neuen Weg zu gehen?« In Brandons ruhigem Ton klang eine stahlharte Entschlossenheit mit, und sie entging Cross offensichtlich nicht. Er schob den Unterkiefer nach vorn. »Im Endeffekt liegt die Verantwortung für operationelle Entscheidungen bei mir«, knurrte er. Hinter seiner Aggressivität erkannte Tony einen Jungen, einen streitsüchtigen kleinen Tyrannen, der wütend auf die Erwachsenen war, die noch die Macht hatten, ihn in seine Schranken zu weisen.
    »Aber ich bin als Assistant Chief Constable und Chef der Kripo verantwortlich für die Aufklärung von Schwerverbrechen, und der Schwarze Peter bleibt letztlich immer bei mir hängen. Ich lege fest, welche Politik zu verfolgen ist, und die Entscheidung, die ich in diesem Fall getroffen habe, kollidiert nun mal mit Ihrer Verantwortlichkeit. Doch ich bleibe dabei, von jetzt an behandeln wir diese Morde als ein einziges Schwerverbrechen. Oder wollen Sie die Sache höher aufhängen?« Zum erstenmal war Carol Zeugin, daß John Brandon sich auf dem rutschigen Parkett der Kompetenzrangelei so weit vorwagte. Die Drohung in seiner Stimme war kein leerer Bluff. Er war ganz eindeutig bereit, alles zu tun, um sein Ziel zu erreichen, und er ging dabei mit der Sicherheit eines Mannes vor, der es gewohnt war, den Sieg davonzutragen. Tom Cross blieb keine Wahl mehr.
    Cross fuhr zu Carol herum und fauchte sie an: »Haben Sie nichts Besseres zu tun, Inspector?«
    »Ich warte darauf, Ihnen meinen Bericht vortragen zu können, Sir«, antwortete sie. »Sie haben gesagt, ich solle mich nach dem Gespräch mit der Presse dafür bereithalten.«
    »Bevor Sie das tun …« unterbrach Brandon. »Tom, ich möchte Ihnen Dr.Tony Hill vorstellen.« Er gab Tony ein Zeichen, näher zu Cross und ihm zu kommen.
    »Wir haben uns schon kennengelernt«, sagte Cross mürrisch wie ein Schuljunge.
    »Dr.Hill hat sich bereit erklärt, bei dieser Morduntersuchung eng mit uns zusammenzuarbeiten. Er hat mehr Erfahrung in der Profilanalyse von Serientätern als sonst jemand in unserem Land. Er hat im übrigen auch zugestimmt, seinen Einsatz für uns geheimzuhalten.«
    Tony bemühte sich um ein bescheidenes, diplomatisches Lächeln. »Das ist richtig. Ich möchte keinesfalls, daß Ihre Ermittlung zur Nebensache wird. Wenn es Verdienste bei der Überführung dieses Bastards gibt, dann sollen sie natürlich Ihrem Team zugute kommen. Ihre Leute sind es ja schließlich, die die ganze Arbeit machen.«
    »Damit liegen Sie nicht falsch«, brummte Cross. »Ich möchte nicht, daß Sie uns dauernd auf den Füßen stehen, wenn wir die Kleinarbeit machen.«
    »Das will keiner von uns, Tom«, sagte Brandon. »Deshalb habe ich Carol gebeten, die Aufgabe eines Verbindungsbeamten zwischen Tony und uns zu übernehmen.«
    »Ich kann es mir in Zeiten wie diesen nicht leisten, eine hochrangige Polizeibeamtin für so was abzustellen«, protestierte Cross.
    »Sie geht Ihnen ja nicht verloren«, erwiderte Brandon. »Im Gegenteil, Sie werden in ihr eine Beamtin haben, die einen einzigartigen Überblick über alle Morde hat. Das könnte sich als unbezahlbar erweisen, Tom.« Er schaute auf die Uhr. »Ich muß jetzt gehen. Der Chief will sicher meinen Bericht über diesen neuen Mord hören. Wir sprechen uns wohl noch, Tom.« Brandon hob zum Abschied die Hand und verschwand dann um die Ecke. Cross zog eine Zigarettenschachtel aus der Tasche und steckte sich eine Zigarette an. »Wissen Sie, was Ihr Problem ist, Inspector?« fragte er und gab gleich selbst die Antwort: »Sie sind nicht so raffiniert, wie Sie meinen. Ein Schritt weg vom vorgegebenen Weg, und ich mache Hackfleisch aus Ihnen.« Er nahm einen tiefen Zug, beugte sich vor und blies den Rauch in Carols Richtung. Seine Absicht wurde jedoch von einem Windstoß vereitelt, der den Rauch zur Seite fegte, ehe er Carols Gesicht erreichte. Cross verzog entrüstet die Mundwinkel, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zurück zum Fundort der Leiche.
    »Sie haben soeben eine sehr nette, hochrangige Persönlichkeit aus den Reihen unserer Polizei kennengelernt«, sagte Carol zu Tony.
    »Ich weiß jetzt zumindest, aus welcher Richtung der Wind weht«, entgegnete Tony. Regentropfen fielen plötzlich auf sein Gesicht.
    »Oh, Mist«, sagte Carol. »Das

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