Das Lied der Sirenen
niemand beobachtet.«
»Wir haben eine komplette Befragung aller Leute auf der anderen Straßenseite gemacht, aber niemand hat angeblich etwas bemerkt, das ihm oder ihr nicht normal vorkam«, erklärte Carol.
»Lassen Sie uns den Tatsachen ins Auge blicken, Carol. Wenn Sie sich anschauen, was hier in der Gegend normal ist, dann läßt das eine Menge Spielraum für einen Serienmörder. Okay, ich habe genug gesehen. Fahren wir weiter?«
Cross stürmte in das Großraumbüro der Sonderkommission, erstaunlich leichtfüßig, wie das bei dicken Männern oft ist, als ob die Leichtigkeit der Bewegung den schweren Körperbau leugnen wollte. »Also, wo ist dieser Abschaum der Menschheit?« bellte er. Dann sah er den schlanken Mann, der sich drüben an die Wand lehnte und dessen Gespräch mit Kevin Matthews durch seinen Auftritt unterbrochen worden war.
»Sir«, sagte Cross und blieb abrupt stehen. »Sie hatte ich hier nicht erwartet.« Er warf Kevin Matthews einen giftigen Blick zu. Brandon richtete sich auf. »Nein, Superintendent, ich nehme an, das haben Sie tatsächlich nicht.« Er ging ein paar Schritte auf Cross zu. »Ich habe Anweisung im Lagezentrum hinterlassen, daß ich sofort verständigt werde, wenn im Zusammenhang mit den Serienmorden eine Verhaftung vorgenommen wird. Das ist ein hochbrisanter Fall, wenn er vor Gericht kommt, Tom, und ich möchte sichergestellt wissen, daß wir astrein dastehen.«
»Jawohl, Sir«, erwiderte Cross rebellisch. In welche Worte Brandon es auch kleidete, was er da sagte, zielte darauf ab, daß er nicht glaubte, Cross sei der richtige Mann, übereifrige Detectives daran zu hindern, Fehler bei der Behandlung von Tatverdächtigen oder Zeugen zu machen. Wenn Brandon in den Fluren herumschlich, würde kein Tatverdächtiger in der Untersuchungshaft bedauerliche Unfälle irgendwelcher Art erleiden. Cross wandte sich an Kevin Matthews. »Was genau ist denn nun passiert?«
Kevin war derart blaß vor Müdigkeit und Streß, daß seine Sommersprossen wie bösartige Pockenpusteln auf seiner weißen Haut aussahen. »Soweit wir bisher wissen«, sagte er, »kam Don Merrick mit irgendeinem Typen aus dem Höllenloch. Eines der Unterstützungsteams sah die beiden. Don hatte sein Funkgerät auf ›Senden‹ gestellt, was uns vermuten läßt, daß er diesen Mann festnehmen und zu einem Verhör herbringen wollte. Sie waren, wie die Jungs vom Unterstützungsteam sagen, auf dem Weg zu einem durchgehend geöffneten Imbiß in Crompton Gardens. Es gibt da eine Gasse, die eine Abkürzung dorthin ist, und in diese gingen die beiden rein. Als nächstes hörten unsere Leute Geräusche von einem Handgemenge. Sie rannten hin, fanden Don auf dem Boden liegend und zwei Kerle, die sich prügelten. Sie nahmen die beiden fest, die jetzt in der Arrestzelle sitzen.«
»Was ist mit Merrick?« fragte Cross. Bei all seinen Fehlern war Cross ein fürsorglicher Vorgesetzter. Das Wohl seiner Männer lag ihm fast so sehr am Herzen wie seine Karriere.
»Er ist im Krankenhaus, wo eine Platzwunde am Kopf genäht wird. Er war ziemlich benommen und mußte im Krankenwagen zur Notaufnahme gebracht werden. Ich habe einen meiner Jungs hingeschickt, der sich seine erste Aussage anhört.« Kevin schaute auf die Uhr. »Er müßte jeden Moment zurückkommen.«
»Was steckt denn nun eigentlich hinter dem Ganzen?« knurrte Cross. »Haben wir einen Tatverdächtigen oder was?«
Brandon räusperte sich. »Wir können wohl davon ausgehen, daß Merrick der Meinung war, ein Gespräch mit dem Mann, den er da aufgegabelt hatte, würde sich lohnen. Was den Kerl angeht, der die beiden angegriffen hat, sind wir auf Merricks Aussage angewiesen. Ich schlage vor, daß Inspector Matthews und einer aus seinem Team sich den Angreifer vorknöpfen und daß Sie, Tom, und ich ein erstes Gespräch mit Merricks Zielobjekt führen. Sind Sie damit einverstanden, Tom?«
Cross nickte. »Ja. Und sobald Ihr Kollege vom Krankenhaus zurückkommt, Kevin, möchte ich ihn sehen.« Er trat zur Tür, erwartungsvoll über die Schulter zurück auf Brandon schauend.
»Bevor wir gehen, Tom, brauchen wir, denke ich, Inspector Jordan und Dr.Hill hier«, sagte Brandon.
»Bei allem Respekt, es ist mitten in der Nacht. Müssen wir sie wirklich aus dem Schlaf reißen?«
»Ich möchte nicht, daß wir jemanden im Zusammenhang mit diesen Mordfällen vernehmen, ehe ich nicht die Möglichkeit hatte, Dr.Hills Rat einzuholen, wie wir das Verhör führen sollen.
Außerdem sind die
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