Das Lied der Sirenen
mich auf diese Weise beleidigt haben. Dann aber habe ich mir gesagt, daß sie es sind, die Probleme haben, nicht ich.«
»Eine vernünftige Ansicht. Hält sie der Praxis stand?«
Carol verzog das Gesicht. »Manchmal komme ich nachts nach Hause und stelle mich zwanzig Minuten unter die Dusche und habe trotzdem noch das Gefühl, schmutzig zu sein.«
»Ich verstehe das sehr gut. Einige der verdrehten Gehirne, in denen ich herumstochern muß, hinterlassen bei mir das Gefühl, daß ich nie mehr eine normale Beziehung zu einem anderen Menschen haben kann.« Tony drehte den Kopf zur Seite, damit sein Gesicht ihn nicht verriet. »Das ist also der Ort, an dem man Paul Gibbs gefunden hat?«
Carol stellte sich neben ihn und richtete den Strahl der Taschenlampe auf den Türeingang. »Dort lag er, in zwei Plastiksäcke eingewickelt, so daß man nicht auf Anhieb erkennen konnte, was das für ein Bündel war. Nach den gebrauchten Kondomen zu urteilen, die überall hier herumlagen, haben die Straßenmädchen in dieser Nacht ihre Dienstleistungen direkt neben einer Leiche vollzogen.«
»Ich kann doch davon ausgehen, daß Sie mit den Mädchen gesprochen haben, oder?«
»Ja, wir haben sie alle verhört. Die da eben abgehauen ist, als ich die Taschenlampe angeknipst habe, hat hier ihren Stammplatz. Sie sagte aus, sie habe kurz nach vier Uhr morgens noch einen Kunden gehabt. Sie wisse die Zeit so genau, weil dieser Mann ein Stammkunde von ihr sei, der um diese Zeit immer von seiner Schicht bei der Zeitungsdruckerei komme. Jedenfalls, sie wollte hierher mit ihm gehen, aber ein Wagen stand ihnen im Weg.« Carol seufzte. »Wir dachten, wir hätten den Fall geknackt, denn sie konnte sich an die Marke, das Modell und die Zahlen auf dem Nummernschild erinnern. Die Zahlen waren dieselben wie ihre Hausnummer, Zwei-Vier-Neun.«
»Sagen Sie es nicht. Lassen Sie mich raten. Es war Paul Gibbs’ Wagen.«
»Auf Anhieb richtig.«
Das nachhaltige Piepsen von Carols Funkempfänger unterbrach ihre Unterhaltung. »Ich muß schleunigst zu einem Telefon«, sagte Carol.
»Was kann das bedeuten?«
»Eines weiß ich mit Sicherheit«, knurrte Carol und eilte zum Ausgang der Sackgasse, »es bedeutet nie was Gutes.«
»Ich habe Ihnen wirklich alles gesagt, was ich weiß. Ich treffe diesen Typ Don im Höllenloch, wir wollen zu ’ner Tasse Kaffee gehen, und plötzlich sind da Schritte hinter uns, und Don sinkt zu Boden, als ob Vinny Jones ihm ’nen Bodycheck verpaßt hätt’, und ich dreh’ mich um, und da steht dieser Mistkerl mit ’nem Backstein in der Hand. Ich will ihn daran hindern, noch mal zuzuschlagen, und verpasse ihm einen linken Haken, und im selben Moment kommen eure Jungs angestürmt, und das war’s.« Stevie McConnell hob die Hände. »Sie sollten mir ein Lob aussprechen, statt mich hier wie einen Verbrecher zu verhören.«
»Und Sie erwarten, daß wir das glauben …« Cross schaute in seine Unterlagen. »Dieser Ian hat Don also nur deshalb angegriffen, weil der ihm irgendwann vorher am Abend eine Abfuhr erteilt hat?«
»Ja, so ungefähr war das. Seh’n Sie, Ian ist stadtbekannt als Schlägertyp. Er dreht oft vom Speed durch und meint dann, er wär’ Gott der Allmächtige. Aber dieser Don hat’s ihm gegeben, verstehen Sie, hat ihn wie ’ne weinerliche Tunte aussehen lassen statt wie ’nen Macho, und das hat ihn ganz schön auf die Palme gebracht. Hören Sie, Sie lassen mich doch laufen, oder?«
Cross wurde eine Antwort erspart. Jemand klopfte an die Tür. Brandon, der sich an die Wand gelehnt und zugehört hatte, öffnete sie. Er wechselte draußen ein paar gemurmelte Worte mit einem Constable und kam dann zurück in den Raum.
»Verhör um ein Uhr siebenundvierzig unterbrochen«, sagte er, beugte sich an Cross vorbei vor und schaltete den Kassettenrecorder aus. »Wir sind bald zurück, Mr.McConnell«, versprach Brandon.
Draußen berichtete Brandon, daß Inspector Jordan und Dr.Hill eingetroffen seien. »Und Detective Sergeant Merrick ist aus der Notaufnahme zurück. Er fühlt sich anscheinend gut genug, uns persönlich einen Bericht über die Ereignisse des Abends zu geben.«
»Nun, dann hören wir uns doch mal an, was er zu sagen hat.«
Cross stapfte die Treppe zum Großraumbüro des Dezernats hinauf, wo eine besorgte Carol sich um Merrick kümmerte. Tony saß ein Stück abseits und hatte die Füße auf den Rand eines Papierkorbs gelegt.
»O mein Gott, Merrick!« stieß Cross aus, als er den Verband sah, der wie
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