Das Lied der Sirenen
wären sie vor Gericht also nicht verwertbar?« hakte Tony nach.
»Stimmt ebenfalls«, bestätigte Brandon. »Aber es gibt da ein paar Möglichkeiten, wie man das umgehen kann. Wenn wir zum Beispiel ein blutbeflecktes, zum Durchschneiden menschlicher Kehlen bestens geeignetes Rasiermesser unter McConnells Bett finden sollten, wird es auf wundersame Weise den Weg auf den Küchentisch finden. Und dann gehen wir zum Staatsanwalt und dem Richter und erklären, wir wären zu McConnells Haus gefahren, um zu überprüfen, ob seine Mitbewohner tatsächlich in Urlaub sind, und hätten durch die Fenster geschaut und auf dem Küchentisch etwas liegen sehen, von dem wir mit einer gewissen Berechtigung annehmen, daß es die Mordwaffe ist, mit der Adam Scott, Paul Gibbs, Gareth Finnegan und Damien Connolly vom Leben zum Tod befördert worden sind.«
Tony schüttelte amüsiert den Kopf. »Hingebogen? Von uns? Aber niemals, Euer Ehren!«
Tony und Brandon nahmen Zimmer für Zimmer in Augenschein. Brandon war fasziniert von Tonys Methode. Er kam in ein Zimmer – in diesem Fall das Wohnzimmer –, stellte sich in die Mitte, sah sich langsam, nacheinander und sorgfältig prüfend, die Wände, die Regale, die Möbel, den Boden an und sog schnüffelnd die Luft ein. Dann zog er akribisch jede Schranktür und Schublade auf, hob Kissen hoch, blätterte Zeitschriften durch, schaute sich Buchtitel, CD s, Kassetten, Videos an, untersuchte die Dinge mit der Behutsamkeit und Präzision eines Archäologen. Und sekundenschnell analysierte er alles, was er sah und berührte, stellte im Geist langsam ein Bild des Mannes zusammen, der hier lebte, und verglich es permanent mit dem embryonalen Bild von Handy Andy, das sich in seiner Vorstellung formte wie ein Foto-Negativ in der Entwicklerlösung.
Wohnst du hier, Handy Andy? fragte er sich. Sieht das hier nach dir aus, riecht es nach dir? Würdest du dir diese Videos anschauen? Sind das deine CD s? Judy Garland und Liza Minnelli? The Pet Shop Boys? Ich glaube nicht. Du bist nicht tuntenhaft schwul, soviel weiß ich schon über dich. In diesem Haus ist auch nichts tuntenhaft. Dieses Haus ist geradezu aggressiv maskulin. Ein Wohnzimmer mit Chrom- und Ledermöbeln aus den achtziger Jahren. Aber es ist auch nicht das Haus normaler Männer, nicht wahr? Keine Magazine mit nackten Mädchen, nicht einmal Auto-Zeitschriften. Nur Bodybuilding-Hefte, aufgestapelt unter dem Couchtisch. Schau dir die Wände an. Ölglänzende Männerkörper, Muskeln wie aus Holz geschnitzt. Die Männer, die hier wohnen, wissen, wer sie sind, wissen, was sie mögen. Ich glaube nicht, daß das bei dir auch so klar ausgeprägt ist, Handy Andy. Du hast dich ebenfalls unter Kontrolle, aber nicht völlig. Es ist eine Sache, sich vor den Menschen zu verschließen, aber eine völlig andere, stark genug zu sein, dieses Bild auch permanent aufrechtzuerhalten. Ich müßte das wissen, in dieser Hinsicht bin ich nun mal Experte. Wenn du so fest in deiner Identität verwurzelt wärst wie die Männer, die hier wohnen, würdest du nicht tun müssen, was du tust, nicht wahr?
Schau dir die Bücher an. Stephen King, Dean R. Koontz, Stephen Gallagher, Ian Banks. Arnold Schwarzeneggers Biographie, ein paar Paperbacks über die Mafia. Nichts Sanftes, nichts Fröhliches, aber auch nichts völlig Kitschiges oder Absurdes. Würdest du diese Bücher lesen? Vielleicht. Ich nehme an, du würdest gern was über Serienmörder lesen, aber so was gibt es hier nicht.
Tony drehte sich langsam zur Tür um, und es war ein kleiner Schock für ihn, Brandon dort stehen zu sehen. Er war so in seine Überlegungen vertieft gewesen, daß er ihn ganz vergessen hatte. Paß auf dich auf, warnte er sich selbst.
Schweigend gingen sie zur Küche. Sie war spartanisch eingerichtet, aber mit allen notwendigen Geräten ausgestattet. Im Spülbecken standen ein schmutziger Suppentopf und ein Becher mit einem Rest von kaltem Tee. Ein kleines Regal voller Kochbücher bezeugte die Besessenheit der Hausbewohner für gesundes Essen. Er zog die Besteckschublade auf. Darin befand sich unter anderem ein kleines Gemüsemesser, dessen Schneide vom vielen Schärfen stark abgenutzt war, ein altes Brotmesser mit fleckiger Schneide und ein billiges Tranchiermesser, dessen Griff von der Geschirrspülmaschine ausgebleicht war. Das sind nicht deine Werkzeuge, Handy Andy, sagte Tony zu sich selbst. Du ziehst Messer vor, die gute Arbeit leisten.
Ohne sich mit Brandon abzusprechen, verließ er
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