Das Lied der Sirenen
zurückkommt. Benommen stand er auf und zog die Rollos hoch. Das war nicht viel, was da bei seinem Versuch, alternative Techniken anzuwenden, herausgekommen war. Interessant war allerdings, bei welchem Punkt sein Gehirn den Dienst verweigert hatte. Das war einer der einzigartigen Faktoren im Zusammenhang mit Handy Andy. Die Lücken blieben hartnäckig bestehen. Eine bemerkenswerte Tatsache. Zu gern hätte er sich jetzt eine Aufzeichnung seines Gesichts während der Prozedur mit einem Camcorder angesehen.
Diese Gedankengänge belebten seine frühere Tatkraft wieder, und er entschloß sich, zur Universitätsbibliothek zu gehen und sich in der Medienabteilung die Ausgaben der
Bradfield Evening Sentinel Times
an den Mordtagen durchzusehen. Bei einem Vergleich der Veranstaltungsanzeigen stellte sich heraus, daß es kaum eine Gemeinsamkeit an den vier Mordtagen gab, es sei denn, man fand es beachtenswert, daß das Kunstkino an Montagen stets klassische britische Schwarzweißkomödien zeigte. Tony vermochte sich jedoch nicht vorzustellen, daß
Ein Paß für Pimlico
todbringende sexuelle Phantasien anheizen konnte.
Schließlich, kurz nach sieben, war er soweit, mit der Erstellung des Profils anzufangen. Er begann mit der üblichen Vorbehaltsdarstellung.
Das nachstehende Verbrecherprofil ist nur als Leitlinie gedacht und sollte nicht als eine Art Phantombild verstanden werden. Der Täter wird dem Profil nicht in jedem Detail entsprechen, obwohl ich davon ausgehe, daß ein hoher Entsprechungsgrad zwischen den nachstehend aufgezeigten Charakteristika und der Realität erreicht wird. Sämtliche
Aussagen in dem Profil stellen Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten dar, keine nachgewiesenen Fakten.
Ein Serienmörder hinterläßt bei der Ausführung seiner Taten bestimmte Hinweise und Signale. Alle seine Handlungen entspringen, ob bewußt oder unbewußt, einem bestimmten Muster. Die Aufdeckung dieses zugrundeliegenden Musters enthüllt zugleich die Logik des Mörders. Sie mag uns nicht logisch erscheinen, aber für ihn ist ihre Einhaltung von größter Bedeutung. Weil seine Logik auf einer krankhaften Veranlagung beruht, wird er mit normalen Methoden und den sonst üblichen Fallen nicht zu überführen sein. So einzigartig sein Geist funktioniert, so einzigartig müssen die Methoden bei seiner Überführung sowie bei den Verhören und bei der Rekonstruktion seiner Taten sein.
Dann machte Tony sich an eine detaillierte Darstellung der vier Opfer. Er führte dabei alles auf, was er den Berichten der Kriminalpolizei entnommen hatte: häusliche Umstände, beruflicher Werdegang, Ansehen bei Freunden und Kollegen, Gewohnheiten, körperliche Konstitution, Persönlichkeitsstruktur, Familienverhältnisse, Hobbys und soziales Verhalten. Als nächstes brachte er jeweils eine kurze Zusammenfassung der pathologischen Befunde der Opfer, vor allem die Art ihrer Verletzungen, sowie eine Beschreibung der Fundorte. Dann begann er mit dem wichtigen Prozeß, seine Informationen zu ordnen und in einem sinnvollen Muster darzustellen, das ihm die Schlußfolgerungen erlauben würde.
Bei keinem der vier Opfer sind Hinweise auf eine homosexuelle Ausrichtung zu finden, soweit dies mit Sicherheit gesagt werden kann. (Eine geheimgehaltene homosexuelle/bisexuelle Orientierung kann nicht ausgeschlossen werden, aber in keinem der vier Fälle gibt es Hinweise, die darauf schließen
lassen würden.) Alle Leichen wurden jedoch in einer Gegend gefunden, die als Schwulentreff bekannt ist, vor allem auch für den schwulen Straßenstrich. Was sagt uns das über den Mörder?
1 .
Er ist ein Mann, der sich in seiner sexuellen Rolle nicht wohl fühlt. Er wählt sich mit Vorbedacht Männer aus, die nicht als Homosexuelle bekannt sind. Es könnte durchaus sein, daß er seinen Opfern in der Vergangenheit einmal sexuelle Avancen gemacht hat und abgewiesen wurde. Der Mörder ist mit relativer Sicherheit kein »offener« Homosexueller; er unterdrückt wahrscheinlich unter großen persönlichen Schwierigkeiten seine eigene Sexualität. Vielleicht ist er in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Männlichkeit hoch angesehen war und Homosexualität verdammt wurde, möglicherweise aus religiösen Gründen. Wenn er in einer sexuellen Gemeinschaft lebt, dann mit einem Mann. Und er wird in dieser Gemeinschaft höchstwahrscheinlich sexuelle Probleme haben, eventuell Potenzprobleme.
Tony blickte düster auf den Bildschirm. Manchmal haßte er es, daß sein Job ihn immer wieder mit
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