Das Lied der Sirenen
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von aus, in Temple Fields von niemandem, den er kennt, gesehen zu werden. Das läßt folgende Möglichkeiten zu: Er könnte die Montagabende/Montagnächte gewählt haben, weil ihm diese Zeit beruflich gut paßt oder weil seine Frau/Freundin, sofern er eine hat, zu dieser Zeit nicht zu Hause ist. Er könnte sich auch für den Montag als Mordtag entschieden haben, weil er den ersten Mord an einem Montag begangen hat, alles gut gelaufen ist und er jetzt abergläubisch daran festhält. Oder er mordet stets montags, weil er hofft, die Ermittlungen damit in eine bestimmte Richtung lenken zu können, die seinen Interessen entspricht. Er ist offensichtlich ein intelligenter Mann, und man sollte nicht davon ausgehen, eine so sorgfältige Planung werde von ihm nicht durchzuhalten sein.
Tony unterbrach sich, um nachzudenken und seine Notizen erneut zu überfliegen. Noch hatte er sich nicht voll in Handy Andys Gedankengänge versetzen können, aber sein schwer faßbarer Geist kam näher und näher. Tony fragte sich wieder einmal, ob seine Beschäftigung mit der verdrehten Logik von Mördern eine Ersatzhandlung für ihn war, die einzige Möglichkeit, die ihn davon abhielt, so zu werden wie sie. Weiß Gott, es gab Situationen, in denen der unausweichliche Drang zur Gewaltanwendung in ihren Köpfen ihm durchaus attraktiv erschien. Und es gab oft genug Situationen, in denen er eine mörderische Wut in sich aufsteigen spürte, auch wenn sie sich normalerweise gegen ihn selbst richtete und nicht gegen die Person, mit der er gerade im Bett lag. »Genug damit«, sagte er laut und wandte sich wieder dem flimmernden Bildschirm zu.
Der Täter ist ein systematisch vorgehender Serienmörder, der konstant einen Zeitraum von acht Wochen zwischen den Morden einhält. Diese Konstanz ist ungewöhnlich; normalerweise
nimmt die Zeitspanne zwischen den Morden ab, da die Phantasien des Mörders nicht mehr zufriedengestellt werden können. Ein Grund für das Einhalten dieses Zeitraums könnte sein, daß er diese Wochen darauf verwendet, seine Opfer zu beobachten. Die Freuden der Erwartung, verbunden mit dem Genuß der davorliegenden Morde, könnten als zeitliche Bremse dienen. Ich glaube auch, daß der Mörder einen Camcorder einsetzt, um seine Taten aufzuzeichnen, und damit seine Phantasien zwischen den Morden zufriedenstellt.
Tony hielt erneut inne, um noch einmal zu überdenken, was er bis jetzt geschrieben hatte. Der Stolperstein … Seine Analyse war wahrscheinlich gut genug, einen Laien zu überzeugen, er selbst war jedoch weit davon entfernt, zufrieden damit zu sein. Sosehr er aber sein Gehirn auch anstrengte und die vorhandenen Daten zu Rate zog, er fand keine bessere Erklärung. Mit einem Seufzer machte er weiter.
Was ist die vorherrschende Absicht bei seinen Morden? Wir können Morde mit rein krimineller Absicht wie zum Beispiel Raubüberfall oder Einbruch ausschließen. Ebenso können emotionelle, selbstsüchtige oder sich aus bestimmten Umständen ergebende Morde wie zum Beispiel Notwehr, Mord aus Leidenschaft, Attentat oder häuslicher Streit ausgeschlossen werden. Diese Überlegungen führen zu einer Einstufung der Tötungen in die Kategorie Sexualmorde.
Die ausgewählten Opfer sind alle einer Kategorie »geringes Risiko« zuzurechnen. Mit anderen Worten, sie hatten alle Berufe und Verhaltensweisen, die sie nicht zu gefährdeten Zielobjekten machten. Allerdings muß der Mörder hohe Risiken auf sich nehmen, sie in seine Gewalt zu bringen und zu töten. Was sagt uns das über den Mann?
Er führt die Verbrechen unter einem hohen Streßniveau durch.
Er plant seine Morde äußerst sorgfältig. Er darf sich keine Fehler leisten, denn wenn er es tut und seine Opfer zum Beispiel entkommen können, setzt er sich sowohl körperlichen als auch strafrechtlichen Risiken aus. Er pirscht sich regelrecht an die mit Bedacht ausgewählten Opfer heran und beobachtet detailliert ihren Tagesablauf. Interessanterweise ist ihm bei der Wahl des Montags als Mordtag noch nichts in die Quere gekommen. Ist das das Resultat gründlicher Planung, exakter Vorbereitung oder einfach nur Glück? Wir wissen, daß sein drittes Opfer, Gareth Finnegan, seiner Freundin gesagt hat, er gehe zu einem Treffen mit Kumpeln, aber keiner seiner Freunde oder Arbeitskollegen scheint etwas davon gewußt zu haben, und es ist nicht geklärt, ob er von zu Hause entführt worden ist oder ob der Kontakt zu dem Mörder an einem vorher verabredeten Ort stattfand. Es könnte sein,
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