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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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vor allem gehen. Was gar nicht so einfach ist, das weiß er inzwischen.
    Er setzt sich an seinen Schreibtisch und liest noch einmal seine in der Februar-Ausgabe veröffentlichte Betrachtung zum Thema Stammbaum, die beinahe zum Zerwürfnis mit Wilhelm Petermann und den Kameraden geführt hätte:
    »Selbstverständlich ist es nun nicht so, dass Menschen, die für sich einen reinrassigen Stammbaum nachweisen können, in jedem Fall hochwertiger sind als andere, die das nicht können. Wir haben den Menschen immer zuerst nach seiner geistigen Seite hin zu würdigen, und im geistigen Leben geht es nach eigenen Gesetzmäßigkeiten. Natürlich ist der Geist auch in mancher Hinsicht durch den Leib bedingt, und das macht uns ja die Rassenhygiene zur Pflicht.«
Theodor hält kurz inne, nickt. Doch, ja, dazu steht er noch immer. Und auch zu der Schlussfolgerung daraus, die Wilhelm jedoch besonders erbost hatte:
»Aber wir haben als Christen unsere starken Vorbehalte. Denn jede Rasse wird ihre Licht-, aber auch ihre Schattenseiten haben. Auch wenn es gar keine Rassenmischung gäbe, gäbe es nicht lauter gute Menschen auf der Welt.«
    Er schiebt das Gemeindeblatt wieder in den Schuber, fühlt irgendwo tief in seiner Brust ein fast schmerzliches Sehnen.
    »Muss das denn wirklich sein, Theo?« Elise tritt zu ihm ins Zimmer und betrachtet sein Regal, wendet sich dann ab und platziert eine Tonvase mit einer frisch geschnittenen Rose und eine Tasse Tee auf seinen Schreibtisch.
    »Regentee«, sagt sie leise. »Bei diesem Wetter muss ich den Kessel bloß nach draußen stellen und im Nu habe ich das allerweichste Wasser.« Ihr Blick schweift erneut zum Regal und zur Bücherkiste. »All die schönen Drucke. Ein kleines Vermögen hast du aussortiert.«
    Er zieht sie auf seinen Schoß. »Wir können uns der Zeit nicht entziehen, Elise. In Poserin wäre das vielleicht möglich gewesen, aber in einer Kleinstadt wie Klütz, mit all dem Besuch.«
    »Du hast ja recht.« Sie seufzt. »Und ich wollte hierher, das weiß ich sehr wohl.«
    »Und hast du es bereut?«
    Sie versetzt seiner Nase einen leichten Stups und schmiegt sich an ihn, und für eine Weile verharren sie so und trinken abwechselnd aus der Tasse, die sie eigentlich nur für ihn gebracht hatte. Einen wirklich erstklassigen Darjeeling hat Elises Mutter ihnen da aus Leipzig geschickt, und das Regenwasser, mit dem Elise den Tee ihm zuliebe aufbrüht, bringt das feine Bouquet hervorragend zur Geltung.
    »Ist sie nicht schön?« Elise deutet auf die samtige Blüte. »Noch trotzen die Rosen dem Wetter, aber wenn es noch lange so weitergeht …«
    Er vergräbt seine Nase in ihrem Nacken, fühlt seinen Herzschlag in ihrem Rücken, als sie sich noch näher an ihn presst. Oder ist das ihr Herzschlag an seiner Brust?, für ein paar Atemzüge ist das nicht zu entscheiden.
Schleierglück
hat Elise solche Momente getauft, dieses unverhoffte Innehalten, wenn einmal niemand an die Tür des Pfarrhauses klopft und etwas begehrt und auch keines der Kinder plärrt, sodass sie plötzlich am helllichten Tage allein sind. Schleierglück, weil sich dann selbst alle Pflichten aufzulösen scheinen, so wie die Hochzeitsgemeinde beim ersten Kuss des Brautpaars.
    »Nun fehlt nur noch Amalies Beitrag«, sagt er, als die Teetasse leer ist und Elise sich von ihm löst, um das Mittagsmahl zu bereiten.
    Sie fegt ein unsichtbares Stäubchen vom Lampenschirm, zögert unmerklich, blickt aus dem Fenster, zum Regal, auf die Rose.
    »Ein Kinderbuch, Theo, muss das denn wirklich sein? Sie hängt so daran. Und die Illustrationen sind ganz reizend.«
    Er schüttelt den Kopf. »Wehret den Anfängen.«
    Hermann hat Amalie das Buch geschenkt, von dem sie sprechen. Großcousin Hermann, Amalies Pate. Legt Elise sich seinetwegen so ins Zeug für ihre Älteste, über die sie sonst meistens klagt? Dabei hat Hermann sie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr besucht und in seinen Briefen traktiert er sie mit seinen zunehmend skurriler anmutenden Weltuntergangsphantasien, und nun machen auch noch seine Präsente Ärger.
    Salzkartoffeln in einer hellen, sämigen Milchsoße mit ganz viel frischer Petersilie gibt es heute zum Mittagessen, und darauf kleine Stücke kross gebratenen Specks. Er liebt dieses Essen, alle lieben sie das, aber heute will es ihm nicht so recht munden, auch wenn er sich das nicht anmerken lässt, ganz im Gegensatz zu Amalie.
    Er räuspert sich und bedenkt seine Älteste, die lustlos in ihrem Essen herumstochert, mit

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