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Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Bouvier
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später rückte Philipp mit seinem Servierwagen voller Bücher an. Daneben schwappte schwarzer Kaffee in einem Keramikbecher.
    »Frühaufsteher brauchen etwas zum Wachwerden!«, erklärte er, während er ihr das Getränk reichte. »Damit steigt Ihre Laune garantiert.«
    »Woher haben Sie den denn?«
    »Von Mrs Isbel. Sie steht extra für mich mit den Hühnern auf und brüht eine Kanne, damit ich wach werde. Und wie Sie sehen, bin ich seit meinem Dienstantritt hier ständig gut gelaunt.«
    »Na, dann bleibt mir ja nichts anderes übrig, als diesen Zauberkaffee zu probieren.« Während Marie ihm den Becher aus der Hand nahm, streifte ihre Hand seine nur ganz leicht, doch es fühlte sich an, als würde ein Funke aus seiner wollenen Jacke überspringen. Verwirrt sahen sie sich an, und Marie versank so tief in Philipps Augen, dass sie nicht einmal mehr die Wärme der Kaffeetasse wahrnahm.
    »Ich … ich glaube, ich sollte weitermachen.«
    Obwohl sein Blick verriet, dass er sie die ganze Zeit über hätte ansehen können, zog er sich zurück. Marie sah ihm nach, und erst, als sie den Becher in ihrer Hand wieder spürte, wandte sie den Blick von der Tür ab, durch die Philipp schon längst verschwunden war.
    Eine Stunde später kam Mr Isbel herunter, der ebenfalls verwundert wirkte, dass Marie schon unterrichtsfertig war. »Sie müssen mir alles über den Ball erzählen!«, rief er begeistert. »Offenbar hat er Ihnen einen Überschuss an Energie beschert.«
    »Das war eher der Kaffee Ihrer Frau!«, entgegnete Marie und berichtete ihm dann kurz und knapp über die Vorfälle während des Balls.
    Nach und nach fanden sich nun die Schüler ein. Wie jeden Morgen stellte sie sich in Positur, um sie zu begrüßen. Doch auf einmal war es, als würde sie etwas überkommen und zwingen zu tun, was sie eigentlich nicht mehr tun wollte – oder besser gesagt sollte.
    Du wirst großen Ärger bekommen, dachte sie, noch während sie Luft holte, doch seltsamerweise fühlte sie keine Angst.
    »Heute werden wir uns mit den Cree beschäftigen, den Indianern, die einige Meilen von hier entfernt leben.«
    Als die Stunde vorüber war, zitterte Marie am ganzen Leib. Mit all ihrer Leidenschaft hatte sie den Kindern die Lebensweise und, soweit sie sie selbst verstanden hatte, auch die Religion der Cree dargelegt. Die Kinder hatten ihren Vortrag mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen verfolgt, doch keines von ihnen hatte Widerspruch angemeldet, weil die Eltern zu Hause etwas anderes erzählten.
    Seufzend ließ sie sich auf ihren Stuhl sinken. Auch wenn es in ihrem Magen ziepte und rumorte – es fühlte sich so gut an, mal die Wahrheit gesagt zu haben!
    »Das war verdammt gut«, sagte Philipp, als er sich von der Tür löste.
    »Was?«, fragte Marie verwundert.
    »Ihre Unterrichtsstunde. Alles, was Sie über die Cree erzählt haben.«
    »Sie haben es mit angehört?«
    »Ich konnte nicht anders. Ihr Vortrag hat mich sogar dazu gebracht, meine Arbeit zu vernachlässigen. Verdammt, was habe ich mir gewünscht, in die Klasse zu gehen und Ihnen dabei zu helfen. Aber Sie haben alles sehr gut erfasst, und so bin ich vor der Tür geblieben.«
    Obwohl Marie das Lob freute, wurde ihr Herz plötzlich schwer, als würde der unbekannte Zauber, der sie heute Morgen ergriffen hatte, nun plötzlich von ihr abfallen.
    »Sie werden es ihren Eltern sagen«, murmelte sie bedrückt.
    »Na hoffentlich, dann wachen sie vielleicht auf!«, meinte Carter vergnügt.
    Marie schüttelte betrübt den Kopf. »Mr Isbel hatte mich gewarnt, dass ich es nicht tun sollte. Doch ich konnte nicht anders. Es war, als sei plötzlich etwas in mir geplatzt. Ich wollte die Lügen geraderücken, die Leute wie dieser Corrigan oder diese Mrs Blake den Kindern in den Verstand pflanzen.«
    »Und das wird Ihnen gelungen sein. Haben Sie keine Angst vor Mr Isbel, der ist ein feiner Kerl. Er hat nur wie alle anderen Angst vor Corrigan. Doch ich sage Ihnen, der ist nur so lange mächtig, wie er Angst und Schrecken verbreiten kann. Wenn Ihnen in der Stadt irgendwer vorhält, was Sie getan haben, lachen Sie einfach.«
    Als ob das so einfach wäre, dachte Marie, doch Philipp lächelte sie dermaßen fröhlich an, dass sie ihm in diesem Augenblick alles geglaubt hätte.
    Durch Philipps Lächeln und den Nachmittagstee bei den Isbels gestärkt, fürchtete sich Marie nicht mehr vor der Rückkehr zu Stella und dem schweigenden Haus. Unterwegs kam ihr sogar ein altes Lied in den Sinn, das sie zusammen mit

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